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Judasfall eines Drachen

Teil 13/4.1 Schicksalsgeschichten
von

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Chapter 31 - 35

Chapter 31
 

Seto parkte seinen auffällig silbernen Maserati, mit getönten Scheiben, breiten Reifen und Edelfelgen, neben einem schlammbespritzten Traktor, der früher vielleicht mal rot gewesen war … vielleicht auch orange … oder gelb ... Setos Wagen passte hier ebenso wenig ins Bild wie er selbst. Von der Seite lugten zwei Stallburschen aus den Pferdeboxen und von der anderen Seite zeigten einige Schulmädchen auf ihn. Mit seiner Erscheinung als Geschäftsmann mitsamt Krawatte, aggressiv schwarzer Sonnenbrille und hochpolierten Schuhen war er auf einem Pferdehof wie diesem unangepasst. Doch er hatte keine Lust dazu, extra nach hause zu fahren und sich umzuziehen, bevor er Yugi abholte. Angaffen tat man ihn auch, wenn er Jeans und Shirt trug. Also versuchte er so zu tun als würde er die Blicke ignorieren, warf die Wagentür zu und schloss mit einem leisen Piepen zu.

Mit seinem geschärften Gehör lauschte er einige Sekunden. Die Mädchen tuschelten in den Boxen über ihn und die Stallburschen über sein Auto. Doch er hörte auch das Scharren einer Ziege in einer nahen Box, hörte zwei oder drei Kaninchen durchs Gebüsch hoppeln, hörte ein paar junge Kätzchen im Scheunendach maunzen. Er musste die Geräusche nacheinander abarbeiten bis er seine Richtung erkannte. Er hörte das schnelle Trampeln von Hufen in weichem Untergrund, das laute Aneinanderschlagen von Holz und rufende Männerstimmen. Und er hörte auch endlich Yugis Stimme, welche sich dort einreihte. Ja, jetzt musste er wenigstens nicht nach dem Weg fragen.

Während er so scheinbar nichtstuend dastand, war einer der Stalljungs auf ihn zugegangen und wollte dem fremden Gast Hilfe anbieten. Doch er wurde kommentarlos links liegen gelassen als Seto sich dann doch in Bewegung setzte und an ihm vorbeiging. Er wollte sich jetzt nicht unterhalten.

Er ging den mit Stalldreck beschmutzten Steinboden entlang, bog hinter einer langen Reihe von Pferdeboxen links ab und sah zu seiner rechten Seite zwei große Hallen. Eines war eine Reithalle, in welcher zwei Mädchen das Longieren übten. Das andere eine Halle mit weiteren Pferdeboxen. Er ging in der Mitte hindurch und fand dahinter eine große Wiese und sein Ziel.

Finn und Yami saßen auf dem Holzzaun, hielten Händchen und genossen den Sonnenschein. Vor ihnen auf der Wiese einige Reiter mit breiten Helmen und kniehohen Stiefeln. Sie passten sich mit langen Schlägern und lautem Rufen einen Ball zu. Seto hatte mal auf einem geschäftlichen Termin in Arabien einem Polospiel der englischen Nationalmannschaft beigewohnt, doch Yugi spielen zu sehen, weckte sein Interesse an diesem Sport wesentlich mehr.

Zwischen den vielen Reitern fiel er gar nicht sofort auf, obwohl die anderen Männer beim näheren Hinsehen dennoch alle größer waren. Polospieler waren eben keine Jockeys. Jockeys mussten vor allem klein und leicht sein. Polospieler mussten wendig und kräftig sein, wobei auch hier ein leichter Körperbau die Geschwindigkeit erhöhte. Er stützte sich neben Yami auf den Holzzaun und sah Yugi zu. Er traf den Ball erstaunlich zielsicher und schoss ihn geschickt zu einem anderen Spieler weiter. Er wehrte sich auch erheblich als ein anderer Reiter ihn im Galopp abzudrängen versuchte. Doch stattdessen wendete Yugi sein Pferd, verpasste dem Gegner einen Check und ließ ihn stehen. So freundlich und mitfühlend er sonst immer war - beim Sport war er unnachgiebig. Sowohl beim Rennen als auch beim Polo. Offensichtlich hatte er eine Begabung in jedweder Art von Reitsport.

„Ey!“ Yami buffte ihn mit der Faust in die Seite und weckte ihn aus seinem Tagtraum.

„Was?“ murrte Seto und rieb sich den Arm. „Warum haust du mich?“

„Aha! Du redest ja doch noch mit mir. Ich dachte schon, du ignorierst mich jetzt völlig.“

„Warum? Habe ich das gesagt?“

„Eben nicht. Du kommst her, stellst dich neben mich und sagst weder Guten Tag noch antwortest du auf irgendwas.“

„Ich habe nachgedacht. Dabei aktiviert man Synapsen im Gehirn, weißt du?“

„Nachgedacht. Schon klar“ grinste Yami dreckig. „Du hast doch nur Yugis Arsch im Blick und aktivierst noch was ganz anderes als nur Synapsen.“

„Du bist ordinär, Yami.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und wandte seinen Blick wieder aufs Spielfeld. „Macht er sich gut?“

„Keine Ahnung. Ich verstehe nicht viel von Polo, aber der Trainer schreit ihn ständig an.“

„Das ist aber normal, glaube ich“ meinte Finn. „Er muss seine Jungs doch trainieren.“

„Aber Yugi ist noch nicht vom Pferd gefallen. Und ich glaube, er hat auch schon Tore geschossen.“

„Ich finde, er sieht ganz engagiert aus“ befand Seto und beobachtete die rasenden Pferdehufe. „Und er sieht aus als hätte er Spaß.“

„Glaube ich auch“ lächelte Yami. „Und die Mannschaft nimmt ihn wohl auch ganz gut auf. Jedenfalls haben seine Gegner so ihre Mühe mit ihm. Ich glaube, wenn er sich schlecht anstellen würde, dann würden sie ihn mehr schonen.“

„Sind denn Eingeweihte dabei?“

„Weiß nicht. Finn?“

„Nur zwei, soweit ich weiß“ antwortete der und räkelte sich auf dem etwas ungemütlichen Zaun. „Der Co-Trainer und ein Spieler. Der Spieler, Hansi, ist mit einer Hexe verheiratet, hat aber selbst keinerlei Kräfte. Und der Co-Trainer, Marvin, ist ein Hexer, Medium für Naturgeister. Doch seit sein Meister verstorben ist, hat er seine Kräfte aufgegeben. Die anderen Spieler kenne ich nicht, also gehe ich mal davon aus, dass sie absolut ahnungslos sind und nicht wissen, dass sie mit dem … au …“ Er stoppte kurz als hinter Seto ein weißer Schatten erschien und seine kräftige Gestalt nach vorn stieß. „…Pharao spielen. Aua, was war denn das?“

„Hoooooooooch“ seufzte Seto genervt und ließ Lady vom Rücken auf seine Schulter klettern. Sie würde es wohl niemals mehr lernen, dass sie seinen Rücken nicht als Platz für Bruchlandungen nutzen sollte. „Irgendwann brichst du dir was, Federchen.“

„Krrräääää!“ machte sie und schüttelte sich. Ungemütliche Landung, harter Rücken.

„Du mich auch.“ Dennoch kraulte er ihr Köpfchen und dann auch unter dem Flügel, den sie so eindeutig abspreizte.

„Diese Falken sind unglaublich“ bemerkte Finn. „Sind sie auch von menschlichen Seelen besessen oder woher rührt das, dass sie so menschenverbunden sind?“

„Nein. Eigentlich sind sie ganz normale Tiere“ erklärte Yami. „Aber durch die Nähe und die Bindung zu ihren Magiern erlangen sie selbst eine gewisse Magie. Nicht praktischer, sondern eher mentaler Natur. Lady liebt Seto als wäre er nicht anders als sie. Das ist das Besondere.“

„Ich habe schon davon gehört, dass Tiere gewisse Kräfte erlangen, wenn sie mit den richtigen Magiern zusammengebracht werden. Aber wirkliche Tatsachen konnten bisher nicht nachgewiesen werden. Obwohl offensichtlich etwas dran ist.“

„Ich kann dir genau sagen, wodurch das kommt, dass er Zirkel keine Ergebnisse aus der Forschung mit magischen Tieren bekommt“ gab Seto bereitwillig Auskunft. „Die hohe Intelligenz und Zutraulichkeit entsteht durch Liebe. Durch echte Liebe. Von beiden Seiten. So etwas kann man nicht künstlich herbeiführen.“

Lady bestätigte ihn mit einem Krächzen und nagte an seinem Brillenbügel. Sie liebte ihn und das war absolut echt.

„Ach? Wenn du mich so sehr liebst, könntest du vielleicht etwas weniger überraschend auf mir landen?“

„Kra!“ Sie schüttelte sich und drehte den Kopf weg. Sollte heißen: Nö.

„Ja, das muss Liebe sein.“

Da ertönte auch schon der Pfiff einer Trillerpfeife und die Spieler stoppten wo sie waren. Einer sammelte den Ball ein, die anderen sammelten sich um die beiden Männer, welche auf die Wiese schritten. Sie begannen eine Unterredung in großer Gruppe und schüttelten sich die Hände.

„Es ist halb acht. Pünktlich Feierabend“ bestätigte Finn mit Blick auf die Uhr.

„Wollen wir Wetten abschließen?“ schmunzelte Yami.

„Wetten worüber?“

„Wette lieber nicht mit ihm. Egal worum“ riet Seto aus weiser Erfahrung. Mit Yami zu wetten, ging immer nach hinten los.

„Jetzt sei nicht so argwöhnisch, du Eisberg. Du machst meinem Liebhaber ja Angst“ bat er und rutschte Finn nach, da der es wagte, sich ein paar Zentimeter zu entfernen - allerdings wohl weniger wegen Seto. „Ich gehe jede Wette ein, dass Yugi jetzt beim Polo bleibt. Wer wettet dagegen?“

„Und weswegen sollte er das?“ guckte Seto skeptisch durch seine Sonnenbrille. „Als Jockey war er immer ganz glücklich und sein Vertrag läuft noch, auch wenn er im Moment beurlaubt ist. Außerdem ist Falsetto ein Rennpferd, kein Polopferd.“

„Schon. Aber Yugi geht hart auf die 30 zu und es sind nur noch wenige Jahre bis er für den Rennsport zu alt ist. Da muss er rechtzeitig umsatteln. Außerdem würdest du ihm sofort ein paar Polopferde kaufen, wenn er dich darum bittet.“

„Davon mal abgesehen.“

„Wovon mal abgesehen? Du weißt, dass ich Recht habe. Du musst Yugi nur ansehen und du weißt, dass er Gefallen am Polo findet. Da hat er mehr Feindkontakt, aber auch mehr Teamplay. Außerdem ist er für seine Größe sehr kräftig und durchtrainiert. Plus er hat ein Talent zum Pferdesport. Ich finde, Polo passt besser zu ihm.“

„Finde ich nicht“ murrte er und versenkte die Hände in den Hosentaschen als hätte man ihn persönlich beleidigt.

„Warum nicht? Du hast selbst gesagt, er sieht aus als hätte er Spaß.“

„Kann er ja auch. Als Hobby, aber nicht beruflich. Weißt du eigentlich wie viele Verletzungen es unter Polospielern gibt? Das wilde Durcheinanderreiten und dann diese Holzschläger …“

„Aha, da haben wir’s“ grinste er. „Du machst dir Sorgen.“

„Unsinn. Ich sage nur, dass Yugi jetzt mehr auf sich aufpassen muss. Immerhin hat er zwei Kinder!“

„Und einen überängstlichen Ehemann.“

„DAS STEHT ÜBERHAUPT NICHT ZUR DISKUSSION!“

„Schrei nicht so und sieh zu, dass du ihn nicht vor dem Team blamierst.“ Er wies nach vorn und Seto darauf hin, dass die Mannschaft in ihre Richtung kam. Die Männer waren von ihren Pferden abgestiegen und führten sie. Nebenbei lachten und unterhielten sie sich angeregt.

Jetzt sah auch Yugi, dass er Besuch hatte und winkte seinem Liebling mit einem Lächeln. Seto winkte natürlich zurück, wenn auch ohne Lächeln. Gewohnheitsmäßig erregte das Unverständnis und er brauchte seine Ohren nicht mal zu spitzen, um zu ahnen, dass die Mannschaft so reagierte wie alle anderen Leute auch. Einer tippte Yugi auf die Schulter und fragte, ob er den Juppie am Zaun kannte. Und Yugi würde keinen Hehl daraus machen, wie glücklich er verheiratet war. Jemand wie er, der so bodenständig, freundlich und unscheinbar war, kannte jemanden wie den da, der allein mit seiner Anwesenheit Aufsehen erregte. Von der unnahbaren, unterkühlten Aura mal abgesehen. Und obendrein auch noch eine Männerehe. Für Fremde war es eben nicht sofort ersichtlich, was zwei so unterschiedliche Menschen gemeinsam haben konnten. Das würde sich in diesem Leben auch nicht mehr ändern. Und da er direkt neben dem Zugangstor stand, mussten sie auch noch direkt an Seto vorbei, was die bisher lustige Unterhaltung zum Verstummen brachte. Manchmal lag es gar nicht an Seto, dass er mit den Leuten nicht klarkam. Häufig urteilten sie über ihn, ohne auch nur ein Wort gewechselt zu haben. Und dass er in seinem Businessdress auf einem Reiterhof erschien und seine Sonnenbrille trug, reichte schon, um ihn unsympathisch zu machen. Von dem weißen Vogel dann mal zu schweigen.

Nur Yugi war das egal. „Hallo Liebling!“ Ganz wie Seto befürchtet hatte, schämte er sich nicht und machte den kurzen Abstecher, während die anderen schon das Tor öffneten. Er streckte sich zu ihm, Seto beugte sich herunter und gab ihm einen kurzen Kuss zur Begrüßung. „Was treibt dich her? Ich dachte, du arbeitest heute lange. Wir haben doch Dienstag.“

„Ich wollte dich abholen“ murmelte er und zog sich hinter den Zaun zurück. „Hattest du Spaß?“

„Ja, ziemlich viel“ lächelte er und drehte sich zu den ungläubigen Männern, die Seto mit ihren Blicken ärgerten. „Die Kollegen haben mich nicht gerade geschont. Du siehst ja, ich bin total verschwitzt.“

„Du hast uns aber auch nichts geschenkt, Muto“ meinte einer aus der Reihe, während einige andere schon weitergingen und gen Boxenhalle verschwanden. „Also kommst du jetzt? Wenn du noch weiter rumknutschen willst, nehme ich deinen Gaul mit, bevor der sich erkältet.“

„Nein, schon fertig mit knutschen. Der Rest folgt später zuhause“ lachte Yugi und zwinkerte Seto zu. „Ich gehe nur schnell duschen und dann bin ich gleich bei dir.“

„Ging ja schnell“ unkte sein Kamerad als Yugi mit ihm ging. „Ich dachte, ihr Schwulen macht gleich rum, wenn ihr euch trefft.“

„Hättest du wohl gerne mit angesehen, was?“ Yugi verstand das als Scherz und lachte mit ihm gemeinsam.

Nur einer der Männer blieb zurück, sah erst Yugi, dann Seto und dann Yugi kurz an, stieg wieder aufs Pferd und ritt zurück aufs Feld. Allein.

„Arschloch“ zischte Seto, stellte sich in den Schatten des nächsten Baumes und verschränkte wütend die Arme.

„Was ist denn?“ guckte Yami zurück. „Seto, was schimpfst du schon wieder?“

„Ist doch egal.“

„Nein, rumfluchen gibt’s nicht ohne Grund.“ Yami krallte Finns Arm fest um nicht herunterzufallen, drehte sich auf dem Zaun um und sah Seto ernst an. „Welche Laus war’s diesmal?“

„Ist egal, Yami. Lass mich in Ruhe.“

„Wer ist ein Arschloch?“

„Er da“ nickte er auf den letzten Reiter, welcher sein Pferd auf dem Feld ausritt.

„Warum?“ blickte Yami sich zu dem um. „Hat er dich mit einem dummen Gedanken bedacht? Seto kann Gedanken hören“ erklärte er kurz zu Finn.

„Ich weiß, Atemu.“

„Weißt du, es gibt so engstirnige Menschen auf der Welt“ murrte Seto. „Eigentlich fand er Yugi ganz nett, aber als er mich gesehen hat und dass ich zu ihm gehöre, da wollte er plötzlich nicht mehr mit ihm duschen gehen. Hat wohl Angst, Yugi könnte ihn angrapschen. So ein Blödmann.“

„Was? Er hat gedacht, Yugi grapscht ihn an?“

„Ja. Und er will nicht nackt vor ihm rumlaufen. Nur weil Yugi und ich … ich hasse solche Leute. Was ist denn falsch an Yugi und mir?“

„Seto, ärgere dich nicht so“ seufzte Yami, hüpfte vom Zaun und stellte sich mit unter den Baum. „An dir und Yugi ist nichts verkehrt. Wenn der Kerl da ein Problem damit hat, dann ist das sein Problem und nicht eures.“

„Aber wie er Yugi angeguckt hat. Als wäre er schlecht oder eklig. Yugi ist nicht eklig. Und er betatscht keine anderen Männer.“

„Mein Engel, solche Leute wirst du immer wieder treffen“ tröstete Yami und legte ihm die Hand auf den Arm. „Deswegen versuche, dich nicht zu sehr den Gedanken und Gefühlen der Menschen zu öffnen.“

„Das sagst du so leicht, aber ich kann nicht immer alles ignorieren. Ich versuche es ja, aber ab und zu dringt eben doch mal eine Stimme aus der Masse hindurch. Du kannst ja auch nicht einfach aufhören zu hören. Ich bin doch kein Roboter, dem man so was wegprogrammieren kann.“

„Das wollte ich auch nicht sagen. Ich wollte nur sagen, dass du dir darüber keine grauen Haare wachsen lassen solltest. Das ist es nicht wert.“

„Eraseus, Atemu hat Recht“ pflichtete auch Finn vom Zaun bei. „Ich merke die Veränderung auch gerade. Seit ich mit Atemu zusammen bin, feinden mich plötzlich sogar Leute an, die früher mit mir beim Kneipenstammtisch getrunken haben. Es ist schwer, aber du darfst dich davon nicht runterziehen lassen. Yugi ist dir doch wichtiger als die Meinung von anderen. Oder?“

„Trotzdem ärgere ich mich. Wie kann man nur so heuchlerisch sein? Nur wegen so was denkt er gleich anders von Yugi.“

„Ey, ist doch sein Problem“ zuckte Finn mit den Schultern. „Im wahrsten Sinne. Während die anderen jetzt schön duschen, muss er noch in der Sonne vor sich hinstinken und warten bis die Dusche leer ist. Damit schließt er sich nur selbst aus der Mannschaft aus. Im Gegensatz zu Yugi, der sich doch anscheinend ganz gut einfindet.“

„Sehe ich auch so. Also guck nicht so böse.“

„Meinst du, ich habe ihn blamiert?“

„Nein, hast du nicht“ lächelte Yami. „Du bist nur einfach ein schöner Mann mit einer überwältigenden Aura. So was Großes wie dich sind die Leute einfach nicht gewöhnt.“

„Klingt nicht gerade schmeichelhaft.“

„Hey, ich stehe auf dich. Das weißt du doch.“

„Yami. Du weißt schon, dass Finn dich hört.“

„Ach, der weiß dass ich auf schicke Männer stehe. Groß, muskulös und eigensinnig. Nicht wahr, Finni?“

„Wenn du es sagst … Atemu …“

„Seto?“ flüsterte er verstohlen zu ihm auf. „Sag mir mal, was Finn gerade denkt.“

„Frag ihn doch selbst.“ Er löste sich von ihm und sah zurück zu den Reithallen. „Wie seid ihr überhaupt hergekommen? Ich habe Yugis Wagen gar nicht gesehen.“

„Dann bist du von der Hauptstraße gekommen“ vermutete Finn und zeigte über das aufgewühlte Polofeld hinüber. „Wir sind über die Felder gefahren und parken da hinten. Eigentlich fährt niemand über die Hauptstraße, weil da lauter Schlaglöcher sind.“

„Ach so. Ich parke da vorne“ zeigte er hinter sich und trat ein paar Schritte in die Richtung. „Könnt ihr Yugi sagen, dass ich im Auto auf ihn warte? Dann können wir zusammen nach hause fahren.“

„Warte mal, das wird schlecht“ intervenierte Yami. „Finn und ich sind mit seinem Motorrad gefahren und Yugi mit seinem Jeep. Wenn Yugi jetzt mit dir fährt, bleibt sein Auto stehen.“

„Könnt ihr Yugis Auto nicht zurückfahren? Finn hat doch einen Führerschein. Oder nicht?“

„Aber dann bleibt Finns Bike hier und das will ich nicht.“

Das Ding war anscheinend komplizierter als Seto gedacht hatte. „Warum denn? Wenn Finn mit Yugis Wagen fährt, fährst du mit seinem Motorrad. Wo ist da das Problem, dass ich Yugi mitnehme?“ Yami blickte auf den Boden und kickte dann den armen Baum. „Falsche Frage?“

„Jetzt musst du’s doch beichten, Atemu“ schmunzelte Finn.

„Ich habe Fahrverbot. Noch zwei Wochen lang“ schmollte Yami mit feuchten Augen. Fahrverbot war für ihn genauso schlimm wie Sexverbot.

„Fahrverbot“ wiederholte Seto wertfrei. „Warum? Bist du besoffen gefahren?“

„Quatsch. So schlimm war’s gar nicht. Der Bulle hat sich voll daneben benommen. Der war viel zu streng! Ich finde echt, wir sollten ihn verklagen! Seto, verklag die Polizei für mich!“

„Hast du dich etwa mit der Polizei angelegt?“

Yami hmpfte beleidigt und lehnte sich gegen den Baum. Darauf wollte er jetzt nicht weiter eingehen.

„Wir sind gestern Abend in eine Verkehrskontrolle geraten, weil wir minimal zu schnell waren“ beichtete Finn zu seiner Vertretung.

„Das an sich wäre ja nicht mal das Problem“ bemerkte Seto. Von minimalen Geschwindigkeitsüberschreitungen bekam man noch nicht gleich Fahrverbot.

„Das wäre auch nicht wirklich das Problem gewesen, aber wenn Atemu sich etwas weniger aufdringlich verhalten hätte, wären wir mit einem Bußgeld davongekommen.“

„Definiere aufdringlich.“

„Ich habe nur gefragt, ob es ein Polizist oder eine Polizistin ist! Das wird doch wohl noch erlaubt sein!“

„Du hast ihn nicht wirklich so etwas gefragt“ kombinierte Seto windschnell.

„Atemu hatte daraufhin nichts bessere zu tun als ihm zu erzählen, dass er mal Sex mit einer Stripperin hatte, die sich auch als Polizist verkleidet und dann erst aussieht wie ein Mann und dann doch eine heiße Braut ist. Und wenn er dann auch noch Werbung für den Swingerclub macht und …“

„Der Swingerclub ist einsame spitze!“ bestand er auf seiner Meinung. „Ich habe eine Bonuskarte! Und die wäre auch schon voll, wenn du endlich mal mitkommen würdest!“

„Atemu, ich gehe nicht in den Swingerclub!“

„Ich habe genug gehört“ bat Seto und rieb sich die Schläfen. Warum nur war jede Unterhaltung mit Yami so furchtbar anstrengend? Er konnte sich nun doch vorstellen, dass das Fahrverbot weniger von ungebührlichem Fahrverhalten als mehr von ungebührlichem Betragen gegenüber der Justiz herrührte. Und dieses Fahrverbot half ihm bei seinem beziehungsweise Yugis Mobilitätsplanung jetzt auch nicht weiter.

„Was willst du überhaupt von Yugi? Ihr seht euch doch zuhause eh“ meinte Yami.

„Ich will eben mit Yugi fahren. Ist das so schwer zu verstehen? Das habe ich so geplant!“

„Du bist ein Kindskopf, Seto“ beschloss Yami und fand darin auch die Erklärung. Seto wollte es eben so - also gab es daran kein Vorbei.

„Wenn es dir so wichtig ist, können wir dir bestimmt entgegenkommen.“ Finn stieg vom Zaun herunter und gesellte sich zu den beiden in den Schatten. „Hansi kann mein Bike auch zurückfahren. Wenn ich ihn frage, macht er das bestimmt. Atemu und ich können dann Yugis Wagen nehmen.“

„Boah, Finni“ staunte Yami. „Du gibst dein Bike einfach aus der Hand?“

„Dafür hast du was gut bei mir“ dankte Seto und reichte ihm die Hand. Er wusste, dass Finn sein Motorrad nur sehr widerwillig von jemand anderem fahren ließ. Einige Menschen hingen an ihrem Porzellan von Großmutter und Finn eben an seinem Bike. Als er Finns Hand berührte, schoss ihm ungewollt ein Bild vor Augen. Ein Gefühl der Aufregung, des Widerwillens und der Unsicherheit wallte in ihm auf und er sah Finn als Jugendlichen in einer kleinen, unordentlichen Garage stehen. Er beobachtete einen Mann mit Halbglatze und knochigem Rücken, welcher an genau seinem Motorrad schraubte und ölverschmiert über den Lenker grinste. Seine Zähne waren fast zu groß für seinen Mund, doch das Grinsen war warm und vertraut. Dann ließ er den Motor aufheulen und beide jubelten. Jetzt wusste Seto, weshalb Finn seine Maschine nicht fremdfahren ließ. Es war das, was ihn an seinen Adoptivvater erinnerte. Das Motorrad hatte ihm gehört. Deshalb hielt er es in Ehren und würde es sich, genau wie sein Vater, niemals erdreisten ein schnödes Auto zu vorzuziehen.

„Warte, hier.“ Seto zog seinen Schlüssel aus der Hosentasche und gab sie ihm. „Du kannst auch meinen Wagen haben. Als Dank, dass ich mit Yugi fahren kann.“

„Ach, jetzt nehme ich doch nicht den Jeep?“ Finn nahm den Schlüssel und bemerkte den auffälligen Anhänger. „Du fährst einen Maserati?“

„Habe ich vorgestern gekauft, aber irgendwie ist er nichts für mich.“

„Maserati ist nichts für dich?“

„Der ist mit Automatik und ich schalte lieber. Außerdem sind die Scheiben nicht entspiegelt und die Innenausstattung ist aus Leder.“

„Lederausstattung ist aber …“

„Nicht doch. Da mussten arme, kleine Tiere für sterben“ erklärte Yami. „Seto ist jetzt unter die Ökos gegangen.“

„Du würdest auch nicht gern als Bezug für den Arsch eines anderen herhalten“ konterte er beleidigt. Er und Öko? Nein, er war nur Tierschützer! Wenn überhaupt!

„Yugis Auto steht da hinter den Bäumen. Da ist ein ganzer Parkplatz.“ Nebenbei zog Yami seinen Lover schon hinter sich her und winkte Seto. „Du weißt schon, dass wir im Auto Sex haben werden?“

„Das geht mich nichts an.“ Das war ihm jetzt auch egal. Yami hatte die Beschwerde des Drachen sofort verstanden, nur Finn nicht. Der Maserati war ein spontanes Geschenk. Und was sie nun damit oder darin oder auch darauf taten, ging ihn nichts mehr an.

„Das ist seine Art, dich in seine Sippe aufzunehmen“ erklärte Yami und schlenderte mit Finn an den beiden Reithallten vorbei.

„Ach? Er hat mich aufgenommen?“ Finn drehte sich nochmals zu Seto um, aber der kam außer Sicht als Yami ihn um die Ecke zog. „War ich vorher nicht aufgenommen?“

„Nicht von ihm.“ Yami schmiegte sich an ihn und legte sich selbst Finns Arm um die Taille. „Wir wissen im Augenblick nicht genau, wer der Alphadrache im Haus ist. Entweder der alte Tato oder Seto. Und der Alphadrache muss dich aufnehmen, sonst bleibst du bei ihnen außen vor. Du bleibst dann ein störendes Anhängsel, im besten Falle eine Art Haustier. Aber indem Seto dir die Hand und den Schlüssel gegeben hat, war das ein für ihn offensichtliches Angebot. Sollte Seto in der Rangordnung über Tato stehen, hast du gewonnen.“

„So kompliziert ist das? Für mich sah das so aus als bräuchte er nur jemanden, der ihm den Wagen hinterherfährt.“

„Du darfst die Drachen nicht mit unseren Augen sehen. So kleine Gesten sind für sie ganz riesige Zeichen wie Leuchtreklame. Wenn du Seto falsch anguckst, kannst du ihn auf die Palme treiben. Und wenn du ihn richtig anguckst, hast du einen Freund fürs Leben.“

„Aha … und wie gucke ihn ‚richtig‘ an?“

„Das musst du fühlen, mein Schatz“ lächelte Yami ihn verliebt an. „Glaube mir, wenn es gut läuft, dann fühlst du es.“

„Na gut, dann werde ich mir Mühe geben.“

„Gib ihm lieber Kekse als Mühe“ riet er aus alter Erfahrung. „Bring den Drachen beim nächsten Mal ne Ladung selbstgemachter Kekse mit. So schleimst du dich am elegantesten ein. Frag Narla, sie sagt auch, dass Einschmeicheln bei Drachen über zwei Schienen läuft. Entweder übers Futter oder über Berührungen. Und da unsere Drachen sich nicht gern von Nicht-Sippenangehörigen knuddeln lassen, bring ein bisschen Futter mit.“

„Na gut, dann backe ich Kekse, wenn du heute Abend friedlich im Bett schlummerst.“

„Dann musst du mich erst mal zum Schlummern bringen. Ich backe nämlich auch gern.“

„Ich weiß … mein Magen hat sich von deinem letzten Kuchen noch immer nicht erholt.“

„Will der Liebhaber seiner Majestät damit auf subtile Art etwas ausdrücken?“

„Wow …!“ Finn schweifte hinüber zu dem Auto, welches er jetzt neben dem matschigen Traktor erkennen konnte. Dort standen bereits zwei Stallburschen und fachsimpelten über dieses silberne Schmuckstück mit den abgetönten Scheiben. Sie stoppten aber als Yami und Finn herbeikamen und mit einem leisen Piepen die Türen aufschlossen.

Yami beobachtete genüsslich wie sein Liebster mit der Hand über den glänzenden Lack fuhr und beinahe zärtlich über den Scheinwerfer fasste. Er war eben doch nur ein Mann, der sich vom Spielzeug anderer Männer beeindrucken ließ.

„Ich wünschte, mich würdest du auch mal so streicheln“ versetzte der Pharao und ließ die beiden Stallburschen hochrot anlaufen. „Mal ehrlich, Auto müsste man sein, was Jungs?“

Die beiden sagten dazu lieber gar nichts, sondern guckten ihn mit beschämt verwirrten Blicken an.

„Nein, Maserati müsste man sein“ erwiderte Finn und öffnete vorsichtig die Tür. Wie leichtgängig sie war. Er setzte sich behutsam in den dunkelblauen Ledersitz und massierte das Lenkrad. Seine Augen leuchteten, obwohl er noch nicht mal die Füße drinnen hatte. Offensichtlich gefiel ihm das Gefährt.

„Gefällt dir, was?“ grinste Yami und lehnte sich über ihn halb aufs Dach.

„Ist mal was ganz anderes.“

„Du siehst aus als wäre das ein hoch erotischer Moment für dich.“

„Kann man so sagen“ flüsterte er und strich mit der Fingerspitze über die wenigen Knöpfe der Armatur. „Ich will gar nicht wissen was der Spaß gekostet hat.“

„Wahrscheinlich weiß Seto das nicht mal selbst. So was sind Impulskäufe“ schmunzelte er ihn an. „Freu dich einfach drüber.“

„Das tue ich. Wirklich“ nickte er und stellte vorsichtig die Beine in den Fußraum. Er bewegte sich so sachte, er genoss jeden Augenblick in diesem Geschoss von Wagen. „Angenehm viel Platz.“

„Du bist fast so groß wie Seto. Ihr seid ja beide nicht gerade Erdgewächse.“ Yami freute sich darüber wie sein Geliebter das neue Terrain erkundete. Und endlich fand er mit seinen langen Beinen auf Anhieb Platz, denn er war auch nur eine Handbreit kleiner als Seto. Somit war es nicht verwunderlich, dass er diese großzügige Sitzeinstellung als angenehm empfand.

„Meinst du, er hätte etwas dagegen, wenn ich das Verdeck herunterfahre?“

„Wohl kaum. Kannst doch damit machen, was du willst.“

„Eigentlich finde ich solche Autos übertrieben protzig und unpraktisch, aber die paar Kilometer in die Stadt werde ich genießen.“

„Und dann hoffentlich auch die nach Hause und die vielen Spritztouren, die wir diesen Sommer noch machen müssen.“

„Ich glaube kaum, dass Eraseus mir seinen Wagen so oft leihen wird. Da wäre wohl schon ne ganze Keksfabrik nötig.“

„Finni?“ Da schien irgendwas nicht richtig angekommen zu sein. Drachensprache war ja auch nicht ganz einfach. Yami kam seinem Ohr aufreizend nahe und flüsterte ganz erotisch und feucht hinein: „Mein Schatz, den hat er dir geschenkt.“
 


 

Chapter 32
 

Seto währenddessen wartete geduldig auf dem Parkplatz bis Yugi aus der Dusche zu ihm fand. Leider war der Jeep verschlossen, also lehnte er sich gelangweilt an die Fahrertür und freute sich über die Tatsache, dass Yugi im Schatten geparkt hatte. Und weil Lady lieber einem Eichhörnchen nachjagte als ihm Gesellschaft zu leisten, nahm er ein paar Zweige vom Boden auf und drapierte sie der Größe nach auf der Gepäcksicherung eines auf dem Parkplatz abgestellten Autoanhängers.

Nach getaner Arbeit zündete er sich eben eine Zigarette an und ignorierte die Sportler, welche nach und nach auf den Parkplatz kamen. Die ersten beiden teilten sich eine rote Klapperkiste, der nächste stieg in einen etwas netteren schwarzen Kombi und der vierte fuhr gar gleich mit dem Fahrrad und grüßte Seto sogar so freundlich zurückhaltend, dass er ein Nicken von ihm bekam. Die nächsten beiden verabschiedeten sich voneinander, der eine fuhr mit einem dunkelgrünen Fiat davon und der andere mit Finns Motorrad. Das war dann wohl der sogenannte Hansi, dem Finn ausnahmsweise sein Baby anvertraute, um Seto einen Gefallen zu tun. Hoffentlich hatte Finn die Geste verstanden und fand an seinem neuen Auto Vergnügen. Vielleicht hätte Seto auch etwas freundlicher mit ihm sprechen können. Immerhin hatte er bisher recht wenige Worte mit ihm gewechselt und kaum Interesse signalisiert. Es war nicht leicht, ihn an Yamis Seite zu sehen. Es war nicht leicht, ihm nicht die Erwartungen an Seth aufzubürden. Finn war kein zweiter Seth und Yami sah ihn wohl auch nicht als Ersatz. Dennoch fühlte Seto sich merkwürdig bei ihren verliebten Blicken. Finn konnte nichts dafür, dass Seth sich von ihnen entfernt hatte. Er war eher dafür verantwortlich, dass der alte Pharao aus seinem Depressionstief herausgekommen war und neuen Lebensmut schöpfte. Seto beschloss, dass er sich Mühe mit ihm geben wollte. Finn war nicht schuld daran, wenn Yami und Seth auseinandergingen. Er war ein guter, ein aufrechter und charakterstarker Mann. Dennoch … zu sehen wie Yami einen anderen Mann als Seth so verliebt ansah …

„Hey! Den kenne ich!“ Seto blickte bei Yugis Stimme auf. Endlich kam auch der zum Parkplatz und hatte sogar die Haare noch nass. Der Wind trug seinen guten Duft herüber, welcher mit Essenzen von Seife und isotonischen Getränken verwoben war.

„Dann bis Freitag!“ verabschiedete sich sein Begleiter, der in des Drachens Nase nur nach billigem Duschgel und nicht halb so gut wie sein Yugi roch, mit einem Handschlag und winkte im vorbeigehen auch Seto zu. „Mach’s gut, Yugis Mann!“

„Hrm“ brummte Seto und warf ihm einen finsteren Blick zu. Doch den billigen Duschgeltypen störte das gar nicht. Der schloss seinen schwarzen Kastenwagen auf, schmiss die Sporttasche auf den Beifahrersitz, knallte die Tür hinter sich zu und raste mit quietschenden Reifen vom Parkplatz. Bei dem Fahrstil hätte er sich wohl besser anschnallen sollen …

Yugi berührte zwar Setos Arm, aber verfrachtete nebenbei seine eigene Tasche auf den Rücksitz zwischen die beiden Kindersitze und hielt Seto dann den Schlüssel vor seine gekräuselte Nase. „Willst du fahren?“

„Nein?“ antwortete und fragte er gleichzeitig. Endlich wandte er seinen Blick herunter in Yugis warm glänzenden Augen. „Was glotzt du mich so an?“

„Weil du da stehst wie angewurzelt und ich nicht einsteigen kann.“

„Sag doch einen Ton“ grummelte er und trollte sich auf die andere Seite. Natürlich legte er keinen gesteigerten Wert darauf, selbst fahren zu wollen. Bei Yugi fuhr er lieber nur mit. Er mochte Yugis Fahrstil und wenn der nicht schon einen Job hätte, würde er ihn sofort als Chauffeur einstellen - und sich dafür einen Campingwagen kaufen und nur noch mobil arbeiten und nie wieder ins Büro gehen.

Als er Platz genommen hatte, grinste Yugi ihn schon an.

„Was denn schon wieder?“ motzte er und verlor sofort jeden Gedanken.

„Du hast so in dich hineingelächelt, mein Engel. Woran hast du gedacht?“

„Magst du Wohnmobile?“

„Ähm …“

„Dann frag nicht so doof.“ Also wirklich, nicht mal in Ruhe träumen durfte man. Während stur zum Fenster hinausblickte, zuckte Yugi mit den Schultern und war auch schon dabei, sein Navigationsgerät auf den Rückweg einzustellen.

„Und wie war’s?“ fragte Seto dunkel.

„Hast’s ja gehört. Ich bin für Freitag zum nächsten Training eingeladen.“ Und bei dem ganzen Gemeckere dachte Yugi sich nichts weiter. Dass Seto vor sich hinschimpfte, war ja nun wirklich keine Seltenheit. „Ich denke, solange wie wir hier sind, würde ich gern mit der Mannschaft trainieren. Ist ne lustige Truppe und ein bisschen Bewegung tut mir auch gut. Wenn sie mich überhaupt aufnehmen, heißt das. Aber ich bin zuversichtlich.“

„Muss es denn unbedingt Polo sein?“

„Warum nicht Polo?“

„Das ist so gewalttätig. Du könntest dich verletzen. Oder jemand anderes könnte dich verletzen.“

„Ich liebe dich auch.“ Darüber diskutierte er nicht weiter. Sobald er merkte, dass Seto ihm die Sache ausreden wollte, vertagte er das Diskutieren auf später. Wenn Yugi ein neues Hobby fand, bedeutete das Veränderung. Veränderung des Tagesablaufs, Veränderung des Bekannten- und vielleicht sogar Freundeskreises. Seto mochte Veränderungen nicht und deshalb würde Yugi ihm einfach vorleben, dass es nichts gab, worüber er sich jetzt Gedanken machen musste. „Fährt Finn mit deinem Auto zurück, mein Herz?“ Er lehnte sich herüber, nahm Setos Hand und lächelte ihm zu.

„Das ist nicht mehr mein Auto“ erwiderte er. „Ich hab’s ihm geschenkt.“

„Geschenkt. Den zwei Wochen alten Ferrari oder den nur einen Tag alten Maserati?“

„Zweiteres.“

„Du verschenkst einfach mal so dein niegelnagelneues Auto.“

„Der hatte Automatik.“

„Ach soooooo!“ Yugi schüttelte den Kopf. Was wunderte er sich überhaupt noch? Er kannte Seto doch mittlerweile gut genug. „Hat Finn sich wenigstens gefreut?“

„Weiß ich nicht. Hoffe mal.“

„Warum weißt du das nicht?“

„Hast du gewusst, dass er sein Motorrad von seinem Vater geerbt hat? Sein Vater hatte ein einnehmendes Grinsen und Finn hat ihn sehr geliebt. Obwohl er nur adoptiert war, waren sie eine eingeschworene Familie. Sein Vater fühlte sich an wie ein guter Mann. Finn ist sehr traurig, dass er tot ist. Eigentlich ist er ein Familienmensch, aber er hat Probleme, sich anderen zu öffnen. Zu viele Verluste haben sein Vertrauen in die Menschen getrübt. Ich frage mich, ob sein Vater verheiratet war …“

Yugi konnte Setos Gedankensprüngen mittlerweile recht gut folgen und kombinierte diese Sätze in ein passendes Bild. „Ich finde es gut, dass du dich mit Finn auseinander setzt. Ich hatte schon befürchtet, du ignorierst ihn weiter.“

„Ich habe ihn nie ignoriert.“

„Aber besonderes Interesse hast du auch nicht gezeigt. Yami hatte teilweise Bedenken, ihn mitzubringen, weil sowohl du als auch Tato ihn links liegen gelassen habt.“

„Haben wir nicht. Ich habe mich schon mal mit ihm unterhalten.“

„Aber ‚Guten Tag‘ und ‚Hast du Nini gesehen?‘ sind keine Unterhaltungen im eigentlichen Sinne, mein Herz.“

„Ich wollte nicht, dass Yami Bedenken hat. Warum hat er nichts gesagt? Oder warum hast du nichts gesagt?“

„Weil er sich wünscht, dass es von dir aus kommt.“ Yugi küsste Setos Hand und hielt sich die kalten Finger in seinen feuchten Nacken. Er liebte es einfach, das zu tun. Wenn man schon einen coolen Mann hatte, durfte man das auch ausnutzen - besonders an so warmen Tagen wie heute. „Er weiß, dass es für euch alle schwierig ist, Finn nicht als Ersatz für Seth zu sehen. Besonders für dich, weil du Seth näher stehst als jeder andere. Es ist wichtig für Yami, dass besonders du Finn als seinen Partner akzeptierst. Yami hat sich verliebt und ich denke, sein Herz hat eine gute Wahl getroffen.“

„Ich weiß, dass Finn Seth nicht verdrängen will. Er hat ein gutes Herz und er weiß genau, wo er steht. Er hat mir vorhin die Hand gegeben. Er war sehr aufgeregt. Es ist ihm wichtig, was wir von ihm denken. Er macht sich viele Gedanken über uns.“

„Du hast also seine Gefühle gelesen.“

„Ich habe vermehrt Aussetzer in meiner Beherrschung“ gab er zu und entzog Yugi seine kühlende Hand. „Ich will es nicht, aber ich muss mich immer stärker konzentrieren, um mich auf das gesprochene Wort zu fokussieren. Manchmal bemerke ich den Unterschied zum gedachten Wort, manchmal nicht. Ich habe damit zunehmend Probleme.“

„Okay.“ Das nahm er vorerst so zur Kenntnis. Was genau das bedeutete, das musste er erst genauer erfragen. „Hast du noch mehr Probleme mit deiner Magie? Oder anderen Dingen? Irgendetwas, von dem ich besser Kenntnis haben sollte?“

„Meine Sinne verwirren mich“ erzählte er und blickte gedankenversunken die Anzeige des noch ausgeschalteten Radios an.

„Du meinst deine fünf Sinne?“

„Ja … manchmal ist es schwer … ich finde mich manchmal schwer zurecht.“ Er knetete mit den Fingerspitzen seine Krawatte und mühte an der Formulierung. „Gestern bin ich im Büro gegen die geschlossene Tür gelaufen. Ich habe nicht hingesehen, aber es hat sich angehört und so gerochen als wäre sie offen. Ich habe Joey reden gehört und Svalas Kakao gerochen. Ich habe mich so sehr auf meine anderen Sinne verlassen, dass ich nicht mehr hingesehen habe. Und ich habe vergessen, dass ich alles intensiver wahrnehme als zuvor. Das hat mich erschreckt.“

„Ja, das kann ich mir vorstellen. Hast du deine Beule?“

„Ja. Da“ zeigte er irgendwo in sein wieder kürzeres Haar hinein.

„Armer Liebling. Komm mal her.“ Yugi kraulte ihm den Kopf, aber nahm die Hand dann wieder herunter. Seto sagte es nicht, aber er signalisierte mit seiner verschlossenen Körperhaltung, dass er im Augenblick lieber nicht angefasst wurde. Und daran musste sich auch Yugi ab und zu halten.

„Und heute stand ich auf der Straße und habe die Orientierung verloren“ erleichterte er weiter seine Herz. „Die Geräusche, Autos auf der Straße, Handyklingeln, Stöckelschuhe … und die Gerüche von dem Griechen gegenüber, von den Kanalarbeiten, das Parfüm der Empfangsdamen, ein toter Vogel im Gebüsch … und plötzlich waren alle Farben so grell und alles hat sich so schnell bewegt und … ich dachte, ich werde wahnsinnig …“

„Was hast du dann getan?“ Offensichtlich war er aus dieser Situation irgendwie herausgekommen. Würde er es nicht beichten, wäre es ihm auch nicht anzumerken gewesen, dass er Probleme hatte.

Seto öffnete den Knopf seines Hemdärmels und zeigte Yugi eine recht frische Wunde. Eine hellrote Kruste zog sich über den schmalen, einige Zentimeter langen Schnitt. So hatte er sich aus der Situation befreit. Er hatte sich versichert, dass er noch da war, dass er noch eigene Gefühle hatte. Er flüchtete kurzfristig in alte Verhaltensmuster, die ihm eine wenn auch zweifelhafte so doch eine Sicherheit gaben. „Tut mir leid.“

„Schon gut. Und ich wundere mich noch, dass du bei diesem Wetter lange Hemden trägst …“ Das konnte er ihm nicht zum Vorwurf machen. Wie Seto sich fühlte, konnte Yugi nur mit viel Fantasie nachempfinden. Wahrscheinlich stand er unter großem Stress. Und er hatte anscheinend doch Probleme mit seiner Veränderung. Diese Probleme traten eher im Verlaufe der Zeit hervor und nicht sofort. Es wäre auch sehr verwunderlich, wenn das alles so gar keinen Effekt auf ihn haben würde.

„Ich wollte mich nicht mehr verletzen. Ich habe dir versprochen, dass ich es lasse und ich will mein Versprechen auch nicht brechen.“

„Viel wichtiger ist, dass du mit mir darüber sprichst“ tröstete er und legte zärtlich seine Hand über die verletzte Stelle. „Sobald Sethos wieder normal ansprechbar ist, kann er dir sicher helfen. Und wegen deiner sensiblen Sinne kann Tato dir vielleicht einen Rat geben. Er ist älter und seine Sinne sind wahrscheinlich ähnlich ausgereift wie deine.“

„Ich habe ihn schon gefragt“ seufzte Seto und klang weniger begeistert.

„Und?“

„Er sagte, er sei da reingewachsen und ihn störe das weniger. Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich verwirrt bin.“ Denn das zuzugeben, fiel ihm schwer.

Auch wenn Yugi sich fragte, ob es daran läge, dass er und sein älterer Sohn eventuell in Konkurrenz zueinander standen, fragte er ihn dennoch nicht. Erst mal musste er sich um die echten Probleme kümmern. Und bei Lösungen war er ähnlich kreativ wie Amun-Re. Wenn man selbst nichts tun konnte, musste man sich auf die verlassen, welche sich auskannten. „Dann fragen wir Narla.“

„Narla?“ An sie hatte Seto offenbar weniger gedacht. „Ich weiß, dass Narla auch verstärkte Sinne hat und in mir lesen kann, aber ihre Kräfte werden mit jedem Jahr schwächer … sie jagt ja nicht mehr …“

„Ich denke auch weniger an ihre Sinne als mehr an ihr Fachwissen. Niemand kennt sich so gut mit Drachen aus wie sie. Gustav hat ihr vor einiger Zeit sogar seine Aufzeichnungen über Weiße Drachen zur Verfügung gestellt. Er hat ein ganzes, dickes Buch zusammenbekommen. Ich bin mir sicher, sie kennt einen Weg wie wir deine Sinne auf ein handelbares Maß dämpfen können. Das soll keine Lösung auf Dauer sein, aber vielleicht hilft es dir, damit du keine Panikattacken bekommst und nicht gegen Türen rennst.“

„Erzähle das bitte niemandem!“

„Nein, werde ich nicht“ versprach er und streichelte seine Hand. „Wir finden eine Lösung für dich. I c h finde eine Lösung für dich. Versprochen.“

„Können wir jetzt die Klimaanlage anmachen?“

Yugi lachte und tat ihm den Gefallen. Er trat die Kupplung, ließ den Motor an und nahm den Gang heraus. Er regelte die Klimaanlage auf 16 Grad herunter und sah beim Blick nach vorn zufällig wie Lady auf einem Ast landete und einen roten Pelz auseinander pflückte. „Irgendwie habe ich auch Hunger.“

„Auf Eichhörnchen?“

„Glaubst du, sie gibt mir was ab?“

„Wohl kaum. Sollen wir irgendwo anhalten und was essen gehen?“

„Nur wir zwei?“ lächelte er ihn verliebt an.

„Vorausgesetzt, Lady will nicht mit.“ Er ließ das Fenster zur Hälfte herunter und rief hinaus: „Kommst du mit oder fliegst du selbst?“

Sie krächzte verächtlich und hob nicht mal ihren Kopf. Genau wie Seto wurde sie nicht gern beim Essen gestört.

„Sie findet schon selbst zurück.“

„Na gut, dann los.“ Er legte den Rückwärtsgang ein und wollte gerade ausparken als Seto ihm unvermittelt zwischen die Beine sprang. „HUCH?! Was ist denn jetzt los?“

„Die Transformers sind los.“ Er kramte sich tiefer, legte den Kopf auf Yugis Knie und griff weit unter den Sitz. „Ist nichts persönliches.“

„Schade. Aber, wenn du schon da unten bist, Liebling …“

Er stoppte das Kramen und drehte seine kalten Augen drohend hinauf. „Kein weiteres Wort.“

„Ach, ist aber gerade so schön.“

„Warum sieht’s überall, wo Tato war, hinterher aus wie inner Rumpelkammer?“

„Hast du’s gleich?“

„Gleich. Das Scheißding hat sich verkeilt.“ Er rutschte noch etwas tiefer und Yugi konnte nur seine Beine spreizen, um ihm noch etwas Platz zu geben. „Lass doch. Wir basteln ihn dann später von hinten raus.“

„Und wenn er sich während der Fahrt löst und nach vorne rollt und die Bremse blockiert und wir einen Unfall haben?“

„Meine Güte, deine Gedankengänge. Wenn Optimus Prime sich verkeilt hat und du ihn nicht mal manuell rausbekommst, wird er sich wohl kaum während der Fahrt lösen, geschweige denn nach vorn rollen.“

„Das ist nicht Optimus Prime. Das ist Cybertron.“

„Ist das wichtig?“

„Du solltest doch wohl wissen, was dein Sohn unter deinem Autositz deponiert.“

„Meines Erachtens nach wird Optimus Primadonna sich genauso wenig lösen und durch die Gegend rollen wie Cybertunte.“

„Yugi! Mann!“

„Bist du da gleich mal fertig? Meine Beine schlafen ein … oh, hi!“

„Was?“ Seto kam hoch und sah, dass Yugi jemandem zuwinkte. Der Typ, der extra spät duschen gegangen war, um ihm nicht noch mal zu begegnen. Ausgerechnet der fuhr gerade mit seinem Moped an ihnen vorbei und lief nicht nur wegen der Sommerwärme rot an. Er starrte zwischen Seto und Yugi hindurch, beschleunigte dann seine Fahrt und beeilte sich, dass er vom Hof kam. „Der schon wieder.“

„Tja, der hat wohl die Zeit verplant“ meinte Yugi und sah ihn im Rückspiegel davonbrausen. „Ich glaube, jetzt hast du ihn in Verlegenheit gebracht.“

„Warum ich? Ich habe nichts gemacht.“

„Der glaubt jetzt wahrscheinlich, dass du da unten sonstwas gemacht hast.“

„Was sollte ich denn da gemacht haben?“

„Na ja. Zwei Schwule im Auto, wovon der Beifahrer mit dem Kopf im Schoß des Fahrers hängt. Die Wahrscheinlichkeit, dass nach einem Transformer gekramt wird, ist sehr alarmierend, oder?“

„Natürlich, wir haben Kinder! Und dabei einen kleinen Jungen, der auf technisches Spielzeug abfährt!“

„Ach Seto …“

„Was denn? Guck mich nicht so an!“

„Der hat das gedacht, was ich mir gewünscht habe.“

„Ähm … was jetzt? Dass Cybertron nicht nach vorne rollt?“

„Der dachte, du bläst mir einen.“

„Ach so … Idiot.“ Seto schnallte sich an, ließ den Transformer wo er war, schlug die Beine übereinander und stierte aus dem Fenster. Da räumte man ein Mal auf und wurde schon der Unzucht beschuldigt. Verdammt, das ging ihm auf die Nerven.

„Du bist so süß“ schmunzelte Yugi und konnte nun endlich ausparken. Das Navi schickte ihn rechts herum, aber er bog links ab. Finn hatte ja gesagt, er solle die Hauptstraße mit den vielen Schlaglöchern lieber vermeiden. „Wo möchtest du denn essen gehen, Schatz?“

„Mir egal.“

„Jetzt schmoll nicht“ lachte er, drehte das Radio an und verfrachtete die Sonnenbrille von der Ablage auf seine Nase. „Schau mal, da hinten stehen Kühe.“

„Wo?“

„Da.“ Er zeigte nach vorn und machte Seto damit eine Freude. Eine ganze Wiese voll mit schwarzweißen Kühen. Seto liebte Kühe. „Mein Herzchen, was gibt die Kuh?“

„Milch“ lächelte Seto und behielt seine Lieblingstiere im besten Blick.

„Und die schwarzweißen?“

„Milch für Kaffee.“

„Und die braunweißen?“

„Milch für Kakao.“

„Sehr schön.“

„Irgendwie bekomme ich jetzt Appetit auf Kaffee.“

„Im Handschuhfach liegt noch Apfelsaft von Tato.“

„Ich habe gesagt Kaffee.“ Und brummend setzte er hinzu: „Und da behaupte noch mal einer, ich wäre verplant im Kopf.“

„Ja ja, ist ja gut.“ Yugi schmunzelte ihm kurz zu, aber Seto guckte weiter aus dem Fenster. Am besten ließ er ihn erst mal dampfen und wartete bis die Klimaanlage eine für ihn angenehme Temperatur hergestellt hatte.

Irgendwann lehnte er sich zurück und schien zu entspannen. Es war angenehm, ihn neben sich zu haben. Sie hatten selten einen Moment zu zweit. Meistens waren die Kinder dabei oder irgendjemand anderes oder er kümmerte sich um die Katzen oder die Falken oder im Zweifelsfalle seinen Laptop. Es war nicht immer einfach mit einem erfolgreichen Geschäftsmann, aufopfernden Vater oder Tierliebhaber verheiratet zu sein. Aber manchmal tat er auch so süße Sachen wie ihn abzuholen und spontan essen zu gehen. Endlich mal Zeit zu zweit. „Wie läuft es denn so im Büro? Wie stehen die Aktien?“

„Mittelmäßig. Die unsicheren Finanzmärkte hängen uns an den Hacken, aber wir sind gut abgesichert.“

„Ist doch prima.“

„Ja, aber viel Arbeit. Die Konkurrenz hat ihre Finanzprodukte riskanter ausgelegt und ihre Kunden natürlich verprellt. Zudem hat Joey eine Werbekampagne initiiert und genau zum richtigen Zeitpunkt platziert. Jetzt pilgern viele zu uns, weil sie doch wieder die Sicherheit und Bodenständigkeit eines großen Unternehmens wie der Kaiba Corp. suchen. Risiko ist out, sichere Geldanlagen sind in und die Anleger wissen, dass sie bei uns vortrefflich beraten werden. Gut für unseren Gewinn, aber schlecht fürs Privatleben. Viele Kunden fordern viel.“

„Habt ihr denn überhaupt nichts bei dem Bankencrash verloren?“

„Natürlich. Einige, mehrstellige Millionenbeträge“ antwortete Seto routiniert.

„Und das macht nichts?“

„Doch. Macht viel. Aber ich habe nicht nur in Risikogeschäfte angelegt. Besonders nicht die Gelder der Privatkunden. Spekulieren ist mehr so ein Spielkram von mir. Noah hat’s auch nur mit einem Nicken abgetan und gemeint, wir beschränken uns weiter auf den Kern.“

„Den Kern.“ Wovon auch immer sein Mann da sprach … „Und dein ‚mehrere Millionenbeträge-Spielkram‘?“

„Ist weg. Aber das war abzusehen, also hat’s uns nicht so hart getroffen. Noah gibt mir regelmäßig einige Budgets frei, mit denen ich dann pokern kann. Ich habe viel davon in Edelmetalle und andere Staatsanleihen umgeschichtet und damit das Minus etwas aufgefangen. Gold ist im Preis enorm gestiegen, Anleihen auch bis zu 25% und das ist so viel wie seit Jahren nicht. Gozaburo hat mir damals beigebracht, mich nicht auf die Meinungen der ‚Experten‘ zu verlassen, sondern meinen gesunden Menschenverstand zu behalten. Ob der so gesund ist, weiß ich nicht, aber mit Zahlen, Diagrammen und Wirtschaftsprognosen komme ich ganz gut zurecht.“

„Sonst wärst du ja auch nicht Vorstand für Finanzen und Entwicklung.“

„Noah könnte das genauso gut, aber der hat zusätzlich andere Qualitäten, die bei mir defizitär sind. Soziale Qualitäten.“

„Trotzdem passt dein Job zu dir. Joey kann zwar auch viel, aber ich glaube, mit Zahlen und vorausschauendem Handeln hat er’s nicht so.“

„Joey kann Leute davon überzeugen, Sachen zu kaufen, die sie eigentlich gar nicht brauchen. Wäre er nicht bei uns, würde er Autos oder Gewinnspiele verkaufen.“

„Ist das nicht etwas simpel ausgedrückt?“

„Joey ist simpel.“

„Wenn du es sagst.“

„Eigentlich wollte ich über etwas anderes mit dir reden.“ Seto machte die ganze Zeit schon nicht den Eindruck als würde ihn das Gespräch besonders interessieren. Stattdessen blickte er aus dem Fenster und schien irgendwo anders zu sein.

„Okay. Und worüber?“

„Das ist nicht so einfach.“ Er legte seine Arme um den Bauch und senkte den Blick auf den Straßenrand.

Yugi ermutigte ihn und berührte sanft seine kühle Hand. „Du weißt doch, dass du über alles reden kannst, mein Engel. Was liegt dir auf dem Herzen?“

„Ich bin nicht davon … bitte lass mich erst ausreden, bevor du dir ein Urteil bildest, ja? Kannst du das?“

„Natürlich. Ich höre zu“ versprach er und legte beide Hände ans Lenkrad. Er sah ihn auch zwischendurch nicht mehr an, um ihm das Reden zu erleichtern. Wenn er so angespannt war, musste es sehr auf sein Herz drücken.

„Ich bin nicht davon überzeugt, dass das, was Seth tut, falsch ist“ gestand er und versuchte so gut es ging, seine Worte auszuwählen. „Ich meine, natürlich ist es falsch, dass er Menschen tötet und sie unterjocht. Aber Seth ist im Grunde kein böser Mensch und deshalb glaube ich auch nicht, dass alle seine Taten böse sind.“

„Hitler hat auch einige, gute Taten begangen.“

„Yugi, du wolltest mich ausreden lassen“ bat Seto leise.

„Tut mir leid. Aber ich finde nichts Gutes daran, Menschen zu töten und den großen Überwachungsstaat zu installieren. Seth löscht Menschenleben im großen Stil aus. Er missbraucht seine Kräfte und beraubt die Menschen ihrer Persönlichkeitsrechte. Jeder, der nicht seiner Meinung ist, wird abgestraft. Wenn gute Menschen, so etwas tun, sind es in meinen Augen keine guten Menschen mehr. Ich liebe Seth, aber was er tut, kann ich nicht gutheißen.“

„Aber hast du dich jemals gefragt, warum er das tut?“

„Wir wissen alle, warum er das tut. Er sieht Yami nicht mehr als vollwertigen Pharao geachtet und sich selbst nicht mehr als vollwertigen Priester. Er will die Ordnung seines Ägyptens zur neuen Weltordnung machen.“

„Ich wusste, ich hätte nicht darüber reden sollen.“ Seto sah demonstrativ von Yugi weg und der seufzte tief. Sehr tief. Dieses Thema war immer schwierig und es gab keine Lösung. Es war wie eine Entscheidung darüber, ob die Todesstrafe gerecht war. Durfte man jemanden, der andere Menschen quälte und tötete dann auch töten, um der Gerechtigkeit willen? Es gab Anschauungen, welche dafür sprachen. Es gab aber auch Anschauungen, welche es ablehnten. Es gab Fragen, auf die es keine einzelne Antwort gab, sondern viele, welche sich widersprechen konnten. So war es auch mit Seth. Ja, er war ein guter Mensch. Und ja, er war ein Tyrann.

„Tut mir leid“ entschuldigte Yugi sich dann doch. Er wusste, dass Seto diesem Thema gespalten gegenüberstand. Auch das musste er verstehen. „Ich habe mich hinreißen lassen. Worüber wolltest du genau sprechen?“

„Ist jetzt auch egal.“

„Seto, jetzt sei vernünftig.“

„Bin ich doch. Seth ist schlecht. Punkt. Vernünftig genug?“

„Nein, du bist jetzt nicht vernünftig, sondern bockig.“ Er legte ihm die Hand aufs Knie und lenkte mit gedrosselter Geschwindigkeit um die langgezogene Kurve der Landstraße. „Liebling, es tut mir leid. Bitte sag mir, was du sagen wolltest.“

„Du bist nicht für meinen Standpunkt offen. Also kann ich’s auch lassen.“

„Liebling.“

Jetzt seufzte Seto und erweichte sich doch noch einmal. Er legte seine Hand auf Yugis, aber wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen. „Ich weiß, dass Seth böse Dinge tut. Aber ich will verstehen, warum er das tut. Ich weiß, ich habe dir versprochen, dass wenn es zu einem Aufeinandertreffen kommt, dass ich dann hinter dir stehe. Das würde ich auch. Aber ich wäre nicht davon überzeugt, dass ich das Richtige tue. Ich bin nicht Seths Meinung … aber ich bin auch nicht von deiner Meinung überzeugt.“

„Aha. Und nun?“

„Nun …“

„Was willst du nun tun? Dich bei einem Kampf gegen Seth heraushalten und wer verliert, der hatte Unrecht?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Ich sage es nur ungern, aber Seth wäre bereit, auch uns zu töten. Selbst dich und mich. Und auch wenn er Yami nicht töten würde, so würde er ihn auf einen Thron zwingen und ihn in einer Welt gefangen halten, die sein Pharao nicht will. Seth geht keine Kompromisse ein - im Gegensatz zu uns.“

„Ich will aber nicht von ihm oder uns sprechen. Wir sind immer noch eine Familie.“

„Nein, das sind wir nicht“ erwiderte Yugi mit möglichst ruhiger Stimme. „Ich liebe Seth, aber er zerstört uns.“

„Du sagst das immer mit einem Aber“ stellte Seto traurig fest. „Ich liebe Seth, aber dies. Ich liebe Seth, aber das oder jenes. Ich will das nicht. Ich liebe Seth. Ich will dieses Aber nicht mehr sagen müssen.“

„Ich verstehe dich ja, mein Engel. Du leidest unter dem, was dein Yami tut und ich kann verstehen, dass du ihn nicht aufgeben kannst. Aber Liebe bedeutet nicht Hörigkeit. Liebe bedeutet auch, sich in den richtigen Momenten dem anderen entgegenzustellen.“

„Deshalb stelle ich mich deiner Meinung entgegen“ brachte er leise heraus.

„Weil du mich liebst oder weil du Seth liebst?“

„Weil ich euch beide liebe und ich nicht zwischen euch wählen will. Ich weiß, dass ich mich im Zweifel immer auf deine Seite stellen muss. Aber ich kann nicht mit ganzem Herzen für dich eintreten, wenn ich Zweifel habe.“

„Wir drehen uns im Kreis“ befürchtete Yugi und streichelte seine Hand mit dem Daumen. „Ich verstehe dich ja, aber was schlägst du vor? Es wird nicht ewig so ruhig bleiben wie im Augenblick.“

„Ich wollte dir sagen, was ich denke“ erwiderte er und ließ den Kopf hängen. „Es hört sich für dich vielleicht merkwürdig an, wenn ich das sage, aber ich möchte mir Seths Standpunkt wenigstens ansehen. Ich möchte sehen und verstehen, was ihn antreibt. Was ihn wirklich antreibt.“

„Auch auf die Gefahr hin, dass du nichts für ihn tun kannst? Auch auf die Gefahr hin, dass er dich mit sich hinunterzieht?“

„Er ist mein Yami. Ein kleiner Teil unserer Seele ist eins und wird es immer sein. Ich bin es ihm schuldig, dass ich wenigstens versuche, ihn zu verstehen.“

„Ich will nicht, dass auch wir uns voneinander entfernen“ bat Yugi und lenkte seinen Wagen an den Straßenrand, wo er ihn anhielt und den Motor ausschaltete. „Schatz, du bist sehr naiv und leicht zu verwirren, wenn es um Gefühle geht. Ich befürchte, dass Seth dich auch ohne sein Zutun schon sehr verwirrt.“

„Vertraust du mir nicht?“

„Auch Yami hat Seth vertraut. Ich will nicht, dass wir die Fehler unserer Yamis wiederholen. Wenn Seth dich auf seine Seite zieht, kann die Welt einpacken. Und ich auch.“

„Du glaubst, ich wäre dazu in der Lage, Menschen zu töten?“

„Ja, ich glaube, dazu wärst du in der Lage“ antwortete Yugi und trieb seinem Priester damit Tränen in die kalten Augen. Dennoch sprach er sanft weiter. „Ich will damit nicht sagen, dass ich glaube, dass du es tun würdest, aber du wärst befähigt, es zu tun. Wenn jemand die Menschen bedroht, die du liebst, dann geht der Beschützer mit dir durch. Und hinterher wärst du über deine eigene Tat verzweifelt. Deswegen möchte ich nicht, dass du in die Drangsal kommst, über Leben oder Tod eines anderen zu entscheiden. Du bist mit deinem eigenen Leben schon überfordert. Deshalb möchte ich dir diese Entscheidung nicht überlassen. Überlasse bitte mir, was wir tun. Und wenn die Entscheidung falsch war, dann gib auch mir die Schuld und keinem anderen.“ Er wischte Seto eine Träne unter der Sonnenbrille heraus, aber er bekam keinen Blick von ihm. „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzen. Ich möchte nur, dass wir ehrlich miteinander sind.“

„Ich weiß ja, dass du Recht hast.“ Er riss sich zusammen, um möglichst verständlich zu sprechen und den Frosch in seinem Hals auszuspucken. „Warum halten wir hier?“

„Du wolltest doch einen Kaffee trinken.“ Er zeigte zum Beifahrerfenster hinaus auf ein kleines Häuschen, welches von riesigen Linden verdeckt vor einem Feld stand.

„Ist das ein Café?“

„Sieht ein bisschen urig aus, aber ist ein Geheimtipp.“ Er zog die Sonnenbrille von der Nase und lächelte seinen Liebsten besänftigend an. „Angeblich gibt es dort den besten Gugelhupf der Welt. Hat mir jedenfalls die Freundin von einem aus der Polomannschaft erzählt.“

„Besser als ihrer bestimmt, aber besser als deiner wohl kaum.“

„Du bist süß. Wollen wir reingehen?“ Auch schon, um ein bisschen von diesem schwierigen Thema wegzukommen. Das „Hm“ von Seto deutete er mal als Zustimmung und löste dessen Anschnallgurt, bevor er die Tür öffnete. „Pass auf, dass du beim Aussteigen keinen Hitzeschlag bekommst.“
 

Sie stiegen aus und gingen händchenhaltend auf das Hexenhaus zu, welches so versteckt auf Wald und Wiese stand. Das tiefhängende Dach aus dunklem Reet, die Wände aus massivem Holz und die Fenster altmodisch mit Schnörkeln beschnitzt und in Flügelfunktion. Beim Näherkommen sahen sie vor dem Häuschen einige Fahrräder stehen. An der Seite etwas versteckt standen sogar Pferde im Schatten der Bäume und rupften das Gras bis zu welchen ihre Leinen reichten. Auf der anderen Seite waren vier der fünf Parklücken mit Autos bestellt.

Beim Eintreten war das Hexenhäuschen gar nicht so leer wie man gedacht hätte. Direkt geradezu stand eine große Holztür weit offen und ließ das Murmeln einiger Leute und das Lachen von Kindern herein. Hier drinnen saß nur ein alter Mann, der sich hinter einer Tageszeitung versteckte und seine Tasse ausschlürfte. Der Tisch, die Ecke und der einzelne Stuhl passten so gut zu ihm, dass er selbst zum Inventar zu gehören schien. Alle anderen Tische waren unbesetzt, aber mit freundlichen Häkeldecken belegt und die kurzen Kerzen nicht angezündet. An den Wänden wuchtige Ölgemälde von blumigen Landschaften und zu den Fenstern heraus sah man auf das weite Kornfeld oder eben das grüne Blätterdach der Linden. Es war recht dunkel und urgemütlich. Es duftete nach Kaffee und Kuchen.

„Sieht aus wie in Urgroßmamas Wohnzimmer, was?“ scherzte Yugi über die altmodische Einrichtung.

„Süße Tischdeckchen“ bemerkte er und Yugi musste leise lachen. Nicht weil es so treffend sarkastisch klang, sondern weil es gar nicht sarkastisch gemeint war. Wahrscheinlich mochte Seto diese Spießigkeit tatsächlich.

Endlich huschte von draußen eine junge Frau herein. Bekleidet mit einer engen, weißen Bluse, einem kurzen, braunen Rock und einer Schürze, welche ähnlich aussah wie ein Tischdeckchen. Sie klemmte das leere Tablett unter den Arm und kam lächelnd auf die beiden zu, welche sich an den Händen hielten und im leeren Raum ganz verloren wirkten.

„Guten Abend“ grüßte sie und lächelte hell zu Seto hinauf. „Suchen Sie einen Tisch?“

„Nein, wir haben nur geschaut.“

„Draußen haben wir nur noch wenig frei, aber wir finden bestimmt etwas Nettes für Sie. Sonne oder Schatten?“

„Können wir nicht drinnen sitzen?“ Seto zog es nicht raus in die Sonne. Hier drin war es kühl und vor allem waren hier keine glotzenden Leute.

„Natürlich. Suchen Sie sich etwas aus.“ Sie machte eine Geste in den Raum und trat schon wieder einen Schritt zurück. „Ich bin gleich wieder bei Ihnen. Darf ich Ihnen dann schon etwas zu trinken mitbringen?“

„Ja, Kaffee. Schwarz“ bestellte er für sich und sah dann zu Yugi hinunter. „Und du?“

„Cola ohne Zitrone“ bat er und erwiderte ihr nickendes Lächeln.

„Kommt sofort.“ Und schon war sie wieder davongehuscht.

Sie suchten sich einen Tisch am Fenster. Seto zog die Sonnenbrille ab und sah hinaus zu den Pferden, welche dort gelangweilt die Fliegen mit ihren Schwänzen vertrieben. Erst als Yugi ihm die Karte hinlegte, wachte er auf und sah ihn überrumpelt an.

„Woran hast du gerade gedacht, Herzchen?“ lächelte er sanft.

„Daran wie wohl das Leben als Fliege wäre.“

„Sicher recht kurz“ mutmaßte er und öffnete seine eigene Karte. „Zu welchem Entschluss bist du denn gekommen?“

„Ich habe ja noch nicht mal reingeguckt.“

„Ich meinte doch das Leben als Fliege.“

„Ach so. Zu keinem. Habe nur gedacht, wie es wohl wäre.“

„Manchmal möchte ich in deinem Kopf Mäuschen spielen“ schmunzelte er und räumte die Kerze, den Zuckerpott und die Streuer beiseite, um Zugang zu Setos Händen zu bekommen, sobald er sie auf den Tisch legte. „Ich glaube, ich habe richtig Hunger. Hast du schon gegessen?“

„Du hast mir doch Brote gemacht.“

„Ich meine etwas richtiges nach dem Frühstück. Zum Mittag oder zur Kuchenzeit? Wahrscheinlich nicht?“

„Nein. Dann nicht.“

Nach seinem Hunger fragte er auch nicht weiter. Wenn Yugi nicht für regelmäßige Mahlzeiten sorgte, würde Seto tagelang das Essen vergessen. „Schau mal, hier gibt es sogar Kroketten. Nini wäre hoch erfreut.“

„Hier ist ja jedes Gericht mit Fleisch. Sogar in der Gemüsesuppe ist Rind drin.“

„Wenn wir fragen, machen sie dir sicher etwas ohne Fleisch“ tröstete Yugi und überblickte die Speisekarte leider weniger schnell als Seto. Der legte sie zur Seite und kannte alle Gerichte mitsamt Zusatzstoffen wahrscheinlich bereits auswendig.

„Kann ich nicht gleich die Schokotorte nehmen?“

„Nein, erst wenn du etwas richtiges im Bauch hast. Du hast seit heute Morgen nichts mehr gegessen und das ist jetzt auch schon über zwölf Stunden her. Hier, wie wäre es mit Omlette?“

„Da ist Speck drin.“

„Den kann man ja weglassen.“

„Hmpf.“

„Na gut, dann nicht.“ Yugi suchte also weiter nach etwas, was seinem krüschen Liebling schmecken könnte. Für Nini fand er sofort etwas. Kroketten, Tomatenreis, Hühnersuppe, Brotsticks und Dip. Auch für Tato. Fischstäbchen, Fleischmedaillons, Pommes, Kartoffelklöße. Nur für Seto war es schwieriger, seit er vehement fleischliche Kost verweigerte. „Schatz, wie wäre es mit Nudeln in Sahnesauce?“

„Da ist Schinken drin.“

„Wenn wir darum bitten, lassen sie den Schinken sicher weg.“

„Hmpf.“

„Hach, du bist schwierig“ seufzte er. „Du kannst dich aber auch nicht nur von Salat ernähren.“

„Aber von Sahnetorte.“

„Ernährung mit Vitaminen. Du bist ja schlimmer als die Kinder.“

„Hmpf.“

„Soooooo!“ Da war auch schon die junge Bedienung mit ihrem kurzen Röckchen und trug ihre Bestellung auf dem Tablett herbei. „Ein Mal einen schwarzen Kaffee für den Herrn Papa“ wiederholte sie und stellte Seto eine feine Porzellantasse mit Schnörkelgriff und passend verschnörkelter Untertasse hin. Und dass auf der Untertasse ein Butterplätzchen lag, freute ihn sicher auch. „Und eine Cola ohne Zitrone für den Sohnemann. Hast du dich schon entschieden, was du essen möchtest?“ Sie zückte ihren Schreibblock und ahnte gar nicht die große Wut, welche Yugi mit einem langgezogenen Atmen unterdrückte. Sie hielt ihn also für Setos Sohn. DAS WAR DOCH DIE HÖHE!!!

„Nicht?“ Sie beugte sich herab, schlug die Karte um und half dem starrenden Yugi bei seiner Auswahl. „Das kleine Schnitzel mit Pommes ist immer gut. Das kann ich dir sehr empfehlen.“

„ICH!“ sprach er laut und schlug die Karte entschieden zu. „Ich nehme ein großes Lachsfilet mit Reis und dazu eine Weißschorle.“

„Das tut mir leid. Wein darf ich dir noch nicht ausschenken. Auch nicht als Schorle.“

„Das geht schon in Ordnung. Meine Kinder sind ja beim Babysitter und mein Mann fährt mein Auto nach hause.“ Er sagte es zwar nicht klar heraus, aber jetzt merkte selbst sie wie angepisst er war. „Und bezahlen tue ich mit meiner Kreditkarte.“

„Ähm …“ Jetzt konnte sie gar nicht weiter.

„Mein Mann wird häufig jünger geschätzt als er ist“ versuchte Seto sich nun an der ungewohnten Rolle des Schlichters. „Machen Sie ihm bitte seinen Weißwein.“

„Sie …?“ Sie blickte von ihm zu Yugi und prüfte sein Gesicht sehr genau. „Es tut mir wirklich sehr leid, aber ich würde trotzdem gern den Ausweis sehen.“

„Das ist doch …!“ Trotzdem kramte Yugi seine Brieftasche heraus und zeigte seinen Führerschein nach oben. „In drei Wochen werde ich 29. Nur weil ich klein bin, heißt das nicht, dass ich ein Kind bin!“

„Oh, das tut mir wirklich furchtbar leid, Mr. Muto“ entschuldigte sie sich sofort und kritztelte verlegen auf ihrem Block. „Es ist etwas dunkel hier und so genau habe ich auch nicht hingesehen. Tut mir wirklich leid.“

„Ja, schon klar.“ Er schluckte seine Wut hinunter und schob die Karte zurück in den Ständer. „Und für meinen Mann bitte den Gemüseauflauf mit doppelt Käse, aber ohne Fleisch. Er ist Vegetarier.“

„Natürlich. Entschuldigen Sie bitte nochmals.“ So schnell sie konnte verkrümelte sie sich zurück in die Küche.

Yugi schmorte währenddessen weiter vor sich hin. Er hasste es einfach, wenn man ihn für ein Kind hielt und auch noch so behandelte. „Kinderteller. Super Idee“ zischte er vor sich hin. Dann spürte er eine kalte Hand an seinem Arm. Er hatte gar nicht bemerkt wie Seto leise aufgestanden war und neben seinem Stuhl kniete. Diese eiskalten, blauen Augen sahen ihn einen langen Moment an. Dann legte er ihm die andere Hand in den Nacken und zog ihn zu einem zärtlichen, feuchten Kuss herunter. Seto wusste auch wie sehr Yugi solche Ereignisse hasste und wie wütend er dabei wurde. Aber er sollte nicht vergessen, dass er geliebt wurde wie ein Mann.

„Schon gut“ flüsterte Yugi und legte seine Stirn an die kühle Nasenwurzel. „Es ist schon wieder gut. Tut mir leid.“

„Sie hat gedacht, dass du 15 oder so bist. Sie hat nicht so genau hingesehen. Aber du siehst älter aus. Wirklich. Ich liebe dich. Du bist ein Mann. Und ein ganz großartiger Küsser.“

„Danke, das ist lieb von dir.“

„Sie hat das einfach falsch kombiniert. Schwule Paare gibt’s hier wohl nicht so oft und sie dachte, dass wir Vater und Sohn sind und uns deswegen an der Hand halten.“

„Schon gut. Du musst niemanden in Schutz nehmen.“ Er streichelte ihm das Haar zurück und versuchte sich an einem Lächeln. „Ich bin nicht mehr wütend. Alles schon wieder vorbei.“

„Ich kann sie ein bisschen ärgern, wenn du willst. Sie könnte ausrutschen oder so.“

„Nein, lass gut sein.“ Er lehnte sich ein Stück vor und flüsterte ihm in sein empfindsames Ohr. „Meine gute Laune käme aber schneller zurück, wenn du mir nachher im Auto einen bläst.“ Er zog sich wieder zurück und lächelte ihm unverschämt süß ins Gesicht.

Seto war eh schon rot im Gesicht und so setzte er sich mit einem Murmeln zurück auf seinen Stuhl … auf die andere Seite des Tisches … weiter weg … in Sicherheit.

Allein das reichte, um Yugis Laune aufzuhellen. Setos verlegenes Gesicht war unbezahlbar.

„Ich hoffe, Gemüseauflauf mit Käse ist in Ordnung für dich“ kam er auf ein weniger errötendes Thema zurück. „Schade, dass du nicht mal Fisch isst.“

„Fisch ist auch Tier mit Seele.“

„Wenigstens verweigerst du keine Eier oder Milch. Dann wäre ich aufgeschmissen.“

„Dafür liebe ich Milch viel zu sehr. Schau mal die Tasse.“ Er hob seine Tasse an. Ganz vorsichtig hielt er den verschnörkelten Henkel zwischen den Fingerspitzen und stützte den Tassenboden mit der zweiten Hand. Auf dem kitschig geformten Porzellan war eine Art Wappenrahmen aufgedruckt und in der Mitte: „Eine Kuh.“ Darüber freute er sich jetzt.

„Schön, Liebling.“ Und Yugi bemühte sich, sich mitzufreuen und nicht schallend los zu lachen. Setos Kinderblick war zu niedlich.

„AH! Guck mal!“ Aufgeregt hob er auch die Untertasse hoch, ließ den Keks auf den Tisch kullern und zeigte Yugi das aufgemalte Bild. „Hier ist ein kleines Scheunentor drauf. Die Kuh gehört zur Scheune. Wie süß!“

„Sehr süß.“ Wobei er ihn süßer fand als Urgroßmutters Porzellan.

„Ja, sehr süß“ lächelte er zufrieden vor sich hin, stellte die Untertasse sorgsam zurück und nippte an seinem Kaffee. Dann entdeckte er endlich den Keks für sich und hielt ihn Yugi hin. „Willst du ihn haben?“

„Nein, iss ruhig.“

„Wenigstens die Hälfte?“

„Na gut. Die Hälfte.“ Sie brachen den Keks in der Mitte und schon war der Happen im Drachenschlund verschwunden und wurde mit Kaffee nachgespült. Seto besah sich noch einige Momente stillschweigend die Tasse und genoss seine kleine, heile Welt. Er liebte Kühe einfach. Sie waren sein Symbol für Mutterliebe und Familie. Eine Kuh, die Milch gab, sich um ihr Kälbchen sorgte und mit großen, dunklen Augen in die Welt blickte und doch nicht das Bedürfnis hatte, fortzulaufen. Kühe waren stark und doch friedlich und mit wenig zufrieden. Genau wie er.

„Ich liebe dich so sehr“ lächelte Yugi vor sich hin. Seto war so was von unbescholten, es stank zum Himmel. Und diese Unschuld war so umwerfend süß und so unglaubwürdig, obwohl sie echt war. Wenn man Seto sah, traute man ihm nicht zu, dass in ihm ein kleines Kind war, welches Kühe liebte und Kekse teilte. Man konnte ihn doch einfach nur lieben und mit seiner manchmal übertriebenen Art leben.

„Yugi?“ Er tauchte aus seiner unschuldigen Bauernhofwelt auf und blickte zaghaft über den Tisch. Jetzt war er wieder vernünftig. „Ich war noch nicht fertig.“

„Womit? Mit Knutschen?“

„Nein, mit Seth“ kam er auf den Punkt zurück. „Ich weiß, dass du da nicht drüber diskutierst, aber mir ist das wichtig.“

„Was soll sich denn ändern?“ Er stützte die Ellenbogen auf den Tisch und entgegnete seinem fragenden Blick. „Ich spreche mit dir so viel darüber wie du möchtest, aber du solltest dich da nicht reinsteigern.“

„Ich habe mir etwas überlegt.“ Er wich Yugis Blick aus und streichelte über die kaffeewarme Porzellankuh. „Du weißt, dass ich hinter dir stehe und tue, was du verlangst. Aber ich möchte mir dennoch möglichst ein eigenes Bild machen.“

„Und du hast dir was genau überlegt, mein Schatz?“

„Wenn sich die Gelegenheit ergibt und wenn Sethos wieder fitt ist, dann würde ich gern mit Seth gehen.“

„Mit Seth gehen …“ Bedeutete in diesem Zusammenhang was genau?

„Ich meine mit ihm gehen. Mit ihm mitgehen. Ich will sehen, wo er sich aufhält und was er die ganze Zeit tut. So ganz alleine ohne uns. Ich will ihm zeigen, dass ich offen bin, mir seine Sache anzusehen. Und dass ich mir ein eigenes Bild mache.“

„Dir ist klar, dass das gefährlich ist.“

„Ich weiß. Aber ich glaube nicht, dass Seth mir etwas antun würde. Er ist doch eigentlich gar kein Einzelgänger. Ebenso wenig wie ich. Ich bin es ihm einfach schuldig, dass ich versuche, ihn zu verstehen. Vielleicht finde ich einen Weg, ihm da wieder rauszuhelfen. Und wenn nicht, dann gelange ich wenigstens zu der ein oder anderen Überzeugung. Alles ist besser als diese Unwissenheit.“

„Liebling. Eben erzählst du mir noch, dass du vor Verwirrung gegen Türen rennst und jetzt willst du mit Seth mitgehen? Das ist ein denkbar gefährliches Umfeld. Allein die ganzen Zirkelleute, die Rache an uns geschworen haben.“

„Seth würde mich beschützen.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher.“ Yugi seufzte und schubste die Eiswürfel in seiner Cola nach unten. „Liebling, die Idee gefällt mir nicht besonders.“

„Das habe ich mir gedacht, aber bitte überlege es dir. Ich weiß, dass ich manchmal austicke und Dinge tue, die ich hinterher bereue. Ich weiß auch, dass ich manchmal einige Sachen nicht so schnell schnalle und auch, dass ich naiv bin. Aber ich glaube, dass es gut wäre, wenn ich eine Weile zu Seth ginge. Wenn er uns das nächste Mal begegnet, könnte er mich mitnehmen. Mokeph hat mir erzählt, dass Seth ihm schon angeboten hatte, ihn mitzunehmen. Vielleicht braucht er jemanden, dem er vertrauen kann. Jemanden, mit dem er reden kann. Ich bin es ihm einfach schuldig.“

„Es geht doch nicht um Schuld. Ich will nicht, dass dir etwas passiert, was … was nicht gut für dich ist.“

„Aber ich könnte Klarheit gewinnen. Und ich sehne mich nach Seth. Ich brauche ihn. Ich brauche ihn als mein Spiegelbild. Ich brauche seine Nähe. Kannst du mir nicht ein bisschen mehr vertrauen? Ich komme doch zurück zu dir und kann dir dann berichten. Ich tue ja nichts ohne dich. Ich will nur bei Seth sein und mir seine Gedankenwelt ansehen. Er würde dasselbe für mich tun. Ich … bitte Yugi. Bitte gib deine Erlaubnis.“

„Ich denke darüber nach“ beschloss er und reichte ihm seine Hände bis über den Tisch. „Liebling, sieh mich an.“ Er wartete bis Seto seine Tasse abgestellt und die Hände gegriffen hatte. Und bis er ihm endlich in die Augen blickte. „Ich denke darüber nach und ich bespreche es mit Yami. Wenn ich zu einer Entscheidung gekommen bin, sage ich es dir. In Ordnung?“

„Du sagst also nicht nein.“

„Ich sage, ich denke darüber nach.“

„Also ja.“

„Seto, das ist keine Entscheidung wie Sahnetorte zum Abendbrot. Das ist wichtig und sensibel. Ich denke darüber nach. Ich habe deine Argumente und deinen Wunsch verstanden. Und jetzt musst du mir vertrauen, dass ich die richtige Entscheidung treffe, okay?“

„Bitte sag nicht nein. Ich brauche Seth.“

„Ich wäge es ab. Und bis dahin versuche, dich mit anderen Dingen zu beschäftigen und vor allem, deine Magie und deine fünf Sinne zusammenzuhalten. Ja?“

„In Ordnung. Ich warte auf deine Entscheidung.“ Auch wenn er sich eine schnellere Zusage erhofft hatte. Er hatte es nicht erwartet, aber gehofft. Hoffentlich würde Yugi zu seinen Gunsten entscheiden. Jetzt lag es in seiner Hand.

„Ich glaube, unser Futter kommt.“ Er ließ Seto los als die junge Frau mit einem großen Tablett zu ihnen zurückkam.

Zuerst stellte sie Yugi seine Weißweinschorle hin. Sie war wirklich kühl und das Kondenswasser lief den Stiel hinab. „Ich möchte mich nochmals bei Ihnen entschuldigen, Mr. Muto“ bat sie und stellte auch den Lachs und den Gemüseauflauf zu beiden, reichte ihnen das Geschirr an. „Mir ist die Sache sehr peinlich.“

„Schon gut.“ Mehr Vergebung konnte er sich jedoch nicht herausquetschen. Es wäre ihm lieber gewesen, sie hätte nicht nochmals davon angefangen.

Aber es kam noch mehr. Aus derselben Tür tappelte eine alte Dame heraus und auf ihren Tisch zu. Sie trug eine altmodische Seidenbluse mit übertrieben kleinem, blauen Karomuster, eine schwarze Strumpfhose und einen braunen Faltenrock. Ihre dunkelgrauen Haare waren zu einer Turmfrisur hochgesteckt und ihr Lippenstift einen Tick zu rot. Eine Urgroßmutter wie einem dieser kitschigen Heimatfilme entsprungen.

„Guten Abend, Mr. Muto.“ Sie deutete einen Knicks an und faltete die Hände vor dem Bauch. „Ich bin Trudi Menasson. Die Besitzerin des Cafés Trudi. Ich möchte mich nochmals persönlich für das unbedachte Verhalten Ihrer Bedienung entschuldigen. Es ist nicht unsere Art, unsere Gäste zu pikieren.“

„Ist schon gut. Die Sache ist geklärt“ nickte er der jungen Frau zu, welche neben der alten Dame in sich zusammensank.

„Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mr. Muto. Dennoch möchte ich Sie heute zu uns einladen. Ihre Speisen und Getränke gehen selbstverständlich aufs Haus. Bitte suchen Sie sich auch noch einen Nachtisch aus und probieren Sie unsere kleine, aber feine Getränkekarte.“

„Die Sachen werden ihr aber nicht vom Lohn abgezogen, oder?“ Das fände er jetzt trotz allem etwas übertrieben. So böse war er ja nun auch nicht, dass die ohnehin schon schuldbewusste Kellnerin sein Essen bezahlen sollte.

„Aber nein. Gerti ist meine Enkelin“ erklärte Sie und formte ein fürsorgliches Lächeln mit ihren roten Lippen. „Sie hilft mir freiwillig während der Semesterferien. Sie bekommt dafür also keinen richtigen Lohn. Sie soll mein Café später einmal übernehmen und deshalb ist es mir sehr wichtig, dass sie den richtigen Umgang mit unseren Gästen lernt.“

„Es ist schon in Ordnung“ bat Yugi. Seto stocherte schon in seinem Auflauf und wollte offensichtlich endlich anfangen. „Wäre ich so jung wie ich aussehe, hätte mich die persönliche Ansprache sicher gefreut.“

„Zu viel Engagement kann aber auch störend sein. Deshalb möchte ich Sie auch nicht lange aufhalten und Ihnen nochmals unsere Entschuldigung überbringen. Bitte genießen Sie heute freie Kost und wenn Sie sonst noch einen Wunsch haben, sagen Sie uns bitte bescheid.“

„Ja, vielleicht gibt es da noch etwas“ fiel ihm sofort ein und wies hinüber. „Die hübsche Porzellantasse. Dürfen wir die mitnehmen?“

„Die Kuhtasse?“ freute sich Seto schon und drehte das spießige Kuhbild in seine Richtung.

„Natürlich. Davon haben wir genügend“ lachte die alte Dame. „Ich habe gehört, Sie haben gesagt, Sie hätten Kinder. Wenn Sie erlauben, würde ich ihnen gern eines unserer Sechsersets mitgeben. Dann haben Sie den ganzen Bauernhof beisammen.“

„Es gibt noch mehr davon?“ staunte Seto.

„Aber ja. Es gibt die Tasse mit der Kuh, eine mit einem Schwein, einem Huhn mit einem Küken, einem Pferd, einer Katze und einer Ziege. Die Kanne dazu ist ein Heuwagen und der Zuckertopf ist ein Sack mit Korn. Dieses Porzellan ist bei vielen Kindern sehr beliebt.“

„Aber Kinder trinken doch keinen Kaffee.“ Jetzt war Seto unbegeistert. Musste sie so herausheben, dass das eigentlich etwas für Kinder war?

„Eigentlich servieren wir darin nur warme Getränke für die kleineren Gäste. Kaffee servieren wir mit Kännchen. Da muss uns ein Fehler unterlaufen sein.“

„Tut mir leid, Oma. Ich hab’s einfach aus dem Schrank genommen“ entschuldigte ihre Enkelin sich. „Ich bringe Ihnen gern einen neuen Kaffee.“

„Nein, jetzt will ich nicht mehr.“ Jetzt war Seto mucksch. Und die Kuh war plötzlich auch doof.

„Bitte packen Sie das Kinderporzellan ein. Ich bezahle es auch“ bat Yugi dennoch mit einem Lächeln. Zuhause würde Seto sich nämlich doch darüber freuen und sich wünschen, er hätte es nicht ausgeschlagen. So hatte der ganze Ärger doch noch etwas Gutes.
 


 

Chapter 33
 

Es war eine entspannte Abendrunde. Hannes veranstaltete heute einen Büffetabend und so standen viele verschiedene Speisen auf dem Programm. Er hatte an der Hochschule einen Wochenendkurs für vegetarische Küche belegt und um das Gelernte gleich anzuwenden, präsentierte er heute eine Kostprobe verschiedener Gerichte. Und seine Dauergäste waren natürlich äußerst freiwillige Tester. Besonders Seto und Sareth waren erfreut, dass Hannes sich auf dem Gebiet weiterbildete. So bestand die vegetarische Kost nicht immer nur aus Gemüseauflauf, Eintopf oder Beilagentellern mit Soja oder Tofu. Und auch wenn Seto schon gegessen hatte, ließ er Hannes nicht im Stich und aß zum zweiten Male am heutigen Tage warm. So wenig wie ihn sein Hungergefühl störte, störte ihn auch sein Völlegefühl. Er konnte hungern und sich überfressen - ein kleines Sorgenkind.

Es hätte alles so schön sein können. Seto hatte seine neue Kuhtasse mit Scheunenuntertasse in Gebrauch und den Rest an die anderen Kinder verteilt. Dante bekam natürlich die Katzentasse. Tato wollte die Schweinetasse haben und Nini die mit dem Pferd. Risa verzichtete freiwillig und überließ Feli die Tasse mit dem Huhn und dem Küken und nahm selbst die mit der Ziege.

Allein das neue Service rechtfertigte eine vegetarische Feier. Wenn Sethos könnte, würde er sicher mitfeiern … wenn auch schweigend irgendwo am Rande mit einem Gameboy beschäftigt. Doch so packte Balthasar nur etwas zum Essen zusammen, für Sethos die Hälfte des Rührkuchens und brauste wieder davon, bevor er Tato oder Phoenix über den Weg lief. Mit den beiden wollte er noch immer nichts zu tun haben. Und Tato war zu stolz, um weiter zu Kreuze zu kriechen. Er suchte das Gespräch, aber er drängte sich nicht auf. Und Phoenix stand an seiner Seite. Er wollte gern mit Balthasar sprechen, doch der ignorierte ihn nun so wie es ihm selbst lange Zeit ergangen war.

Davon abgesehen war die Stimmung ruhig und beschwingt, die Kinder gingen anstandslos zu Bett und die Erwachsenen saßen auch bei Sonnenuntergang noch putzmunter zusammen. Solche Sommerabende hatten einfach ihre eigene Magie.

Aber selbst an diesem vergleichsweise heiteren Abend, kam das Highlight in unverhoffter Form.

Als die Tür aufging und einen neuen Gast hereinließ, schwante Tristan und Joey eine filmreife Szene. Die ersten Gäste drehten schon ihre Köpfe und die Frauenrunde am Nachbartisch begann das Tuscheln. Tjergen war ein Blickfang. Er war es gewohnt, einen Raum mit seiner Anwesenheit zu füllen und er war es auch gewohnt, angesehen zu werden. Er legte es ja darauf an. Mit braunen Lederstiefeln bis zum Knie und einer engen, beigen Jeanshose auf welcher sich nicht eine Falte abzeichnete - also keine Unterwäsche - verriet er sowohl elegante als auch schmutzige Absichten. Das kupferbraune Sommerhemd mit goldenen Rosenranken bestickt und sein langes Haar zu einem glatten, breiten Zopf geflochten. Seine dunklen, funkelnden Augen von einem Hauch goldenen Kajal umrandet. An den Handgelenken eleganten Goldschmuck und eine feine Uhr mit Lederarmband. Wenn der Herbst einen Engel hatte, sah er genau so aus. Doch wer ihn kennenlernte, merkte schnell - er war kein Engel, das war sein Job. Und wäre er kein Model, würde er als Edelnutte durchgehen.

Doch dass er mit einem verlockenden Lächeln direkt zu Noahs Tisch schwebte, war mehr als ein Job. Das war mutig, denn Mokuba saß direkt daneben und erdolchte den Eindringlich bereits mit einem nachtschwarzen Blick.

Jetzt musste Noah sich etwas einfallen lassen, wie er sowohl seinem Model, als auch seinem Geliebten nicht vor den Kopf stieß. Also blickte er Mokuba besser nicht an, dessen Gedanken konnte er sich auch so ausmalen. Stattdessen stand er auf, bevor die beiden sich zu nahe kamen.

„Ich habe geahnt, dass du hier bist, mein Lieber“ sandte Tjeren seinen Gruß voraus und streckte Noah die Hände entgegen wie man es bei einem nahen Freund täte.

„Dafür überrascht mich dein Besuch“ erwiderte der, musste seine Hände entgegen nehmen und ihn mit zwei Wangenküssen begrüßen.

„Ich hoffe doch, du bist nur positiv überrascht.“ Er strahlte ihn hell und breit an, doch seine Augen verrieten immer dasselbe. Eine falsche Äußerung und Noah würde ihm zum Opfer fallen.

„Natürlich. Ich freue mich immer, dich zu sehen, Terry.“

„Ähem!“ Mokuba räusperte laut und erhob sich. Er legte die Serviette zur Seite und nahm seinen Platz neben Noah ein, bevor er den Schönling fixierte. „Ich glaube, wir wurden uns noch nicht vorgestellt. Noah?“

Und der durfte sich jetzt keine Blöße geben, sonst verlor er seine Autorität auf beiden Seiten. „Dann ist das doch jetzt die Gelegenheit.“ Er legte seine Hand an Mokubas Rücken und machte mit der anderen eine offene Geste. „Moki, das ist Tjergen Marnens. Sein Künstlername ist Terry Manison. Er ist Model und das hoffentlich neue Gesicht unserer Eros-Metroline.“

„Hm“ machte Mokuba darauf. Eigentlich interessierte ihn nicht, was der Typ tat, sondern was er von s e i n e m Noah wollte.

„Terry, und das ist mein Lebenspartner. Mokuba Kaiba.“

„Habe ich mir schon fast gedacht. Nett, dich mal zu sehen“ erwiderte das Model weniger misstrauisch und streckte ihm die Hand hin, welche Mokuba fast ergriffen hätte, wenn nicht darauf gefolgt wäre: „Schön, dass dir mein Stil offensichtlich so gut gefällt.“

„Bitte?“ Er schlug die Hand aus und allen war klar: Der Zickenkrieg war hiermit offiziell eröffnet. Es war abzusehen, dass sich die beiden behakeln würden, doch dass es ohne Umscheife zur Sache ging, überraschte. „Was soll das heißen?“

„Mein Management verfolgt die Trends der Highsociety sehr genau, aber bisher waren deine Auftritte ja ganz annehmbar. Bis auf dass ich es vermieden habe, dir auf dem roten Teppich zu begegnen. Ich hoffe, du verzeihst mir.“

„Was bitte soll das denn heißen?“

„Nun ja, das fällt doch ins Auge.“ Er wies an Mokuba hinauf und hinunter und setzte ein provokant freundliches Lächeln auf.

Wenn die beiden direkt voreinander standen, stach ihre Ähnlichkeit noch deutlicher heraus. Beide besaßen die gleiche Statur, wobei Mokuba nur ein paar Zentimeter größer war. Doch im Grunde wären sie leicht zu verwechseln. Die gleiche Frisur, die gleichen Augen, der gleiche Körper, derselbe Stil. Tjergen war ein Herbstengel in Brauntönen, Mokuba eine Elster in schwarz und weiß. Beide glichen sich als wären sie aus demselben Guss, nur unterschiedlich gefärbt. Und dass sie beide dieselben Ansprüche an einen bestimmten Mann hegten, wurde auch schnell klar.

„Nein, mir fällt nichts ins Auge“ erwiderte Mokuba und stemmte die Hände in den Rücken. „Was versuchst du mir zu sagen?“

„Oh, verstehe das nicht falsch. Ich freue mich“ betonte er übertrieben gönnerhaft. „Es gibt viele, die mich kopieren, wenn auch selten jemand so gelungen wie du. Ich wollte es dir bisher nur nicht zumuten, dir öffentlich die Show zu stehlen.“

„Ich habe es nicht nötig, jemanden zu kopieren. Ich bin so wie ich bin.“

„Doch auch erst seit kurzer Zeit.“ Er streichelte den Riemen seiner braunen Ledertasche und belastete den Stand lässig auf ein Bein. „Ich habe mir den Vergleich angesehen zwischen deinen früheren Fotos und zu jetzt. Na ja, fast jeder braucht etwas Zeit und Hilfe, um seinen Stil zu finden und mein Stil steht dir wirklich besser als dein früherer Rumpelkammerlook. Ich freue mich, wenn sich die Leute von mir inspirieren lassen. Und es ist schön, dass Noah sich nicht länger schämen muss.“

„Also, ich …“

„Da muss ich dich enttäuschen.“ Mokuba ließ Noah nicht zu Wort kommen. Der war hiermit raus aus dem Spiel und saß als Zuschauer auf der Tribüne. „Den Stil hat ein Freund von mir für mich ausgearbeitet. Das hast d u leider keine Rolle bei gespielt. Also noch mal für die Langsamen unter uns: Ich habe ich es nicht nötig, jemanden zu kopieren. Ich bin so wie ich bin.“

„Das ist schön für dich, wenn du das denkst, Moki.“

„Ja, nicht wahr? Ich muss mich nicht verbiegen und mein Geld damit verdienen, mich von fremden Leuten angaffen zu lassen. Von Prostitution halte ich nämlich nicht viel, aber jeder eben wie er kann, nicht wahr?“ Tja, sich mit Mokuba anzulegen, war eben kein Ausflug ins Disneyland. „Und du darfst mich übrigens Kaiba nennen. Moki ist nur den Leuten vorbehalten, die ich mag. Nichts für ungut.“

„Wie du meinst, da lege ich keinen gesteigerten Wert drauf. Und das mit dem Geld ist tatsächlich so eine Sache. Menschen wie ich arbeiten dafür, Menschen wie du … nun ja, nichts für ungut.“

Die taten sich beide nicht viel. Es gab wenige Leute, die an Mokubas Gehässigkeit heranreichten, aber hier war eines der seltenen Exemplare aufgetaucht. Wäre es nicht so traurig, könnte man glatt Wetten abschließen, ob Mokubas Gehässigkeit auch dieses Mal reichte, um den Konkurrenten zu vergraulen.

„Menschen wie ich tun deiner Meinung nach was genau für Geld, Fashion Victim?“ bohrte er nochmals nach und verfestigte seinen Stand. „Sprich deine Sätze bitte ruhig zu Ende, Bitch.“

Auch wenn Noah vielleicht intervenieren sollte, so stand er doch nur daneben und besah sich die Sache. Er wusste nicht weshalb, doch irgendwie mochte er den Ausdruck in Mokubas Augen, wenn er seine Ansprüche verteidigte. Er liebte es, wenn er um sich biss - solange er nur Noah nicht anzickte. Normalerweise stellte er sich dazwischen, wenn sein Schatz eifersüchtig wurde, doch Tjergen war kein hilfloses Opfer, sondern selbst mit scharfer Zunge ausgerüstet. Wahrscheinlich fand der es sogar erheiternd, Mokuba zu reizen. Also warum sollte die Sache nicht erst mal laufen? Dazwischenfunken konnte man ja immer noch.

Und Tjergen lächelte nur, ignorierte Mokuba und öffnete seine Tasche, zog eine silbergraue Mappe heraus, auf welcher das stolze KC-Logo prangte. „Noah, ich würde dich dann gern an das versprochene Glas Wein erinnern.“ Er ging den letzten Schritt auf ihn zu und legte ihm liebevoll die Mappe an die Brust, während er mit der anderen Hand die Schulter streichelte. „Ich bin hier, um dir den Vertrag persönlich zu überbringen. Ich habe unterschrieben und erwarte, dass wir das nun feiern.“

„Du hast unterschrieben?“ Das kontrollierte er lieber. Ebenso wie er lieber etwas Abstand schuf und einen Schritt seitwärst trat, bevor er noch den wutkochenden Mokuba wachrempelte. Er blätterte die Mappe auf und besah sich drei mit Klebezetteln markierte Seiten. „Tatsächlich. Du nimmst mir einen Stein vom Herzen.“

„Tatsächlich? Du bist ja süß. Ich wusste gar nicht, dass ich dir bereits am Herzen liege.“ Er zwinkerte ihn an schob spielerisch seine Unterlippe vor. Bei Noah war er natürlich gaaaaaaanz brav. Und dass sich die Vertragsverhandlungen so dermaßen in die Länge gezogen hatten, war natürlich reeeeiiiiiin geschäftlich.

„Ich hatte befürchtet, dein Manager hätte noch mehr Forderungen. Aber wenn die Sache jetzt unterzeichnet ist, kann ich wieder ruhig schlafen.“

„Ich werde nur noch die bereits zugesagten Shootings machen und mich dann ganz der Kaiba Corp. und meinem neuen Boss widmen. Versprochen.“ Er holte ihn wieder ein, berührte mit deutlichen Absichten seine Hüfte und hauchte im perfekten Monroe-Stil: „Tut mir leid, dass du meinetwegen schlaflose Nächte hattest, Mr. President.“

Das rief Mokuba auf den Plan. Und zwar ganz schnell! „Um ihn brauchst du dir wirklich keine Sorgen machen, Marylin.“ Er drängelte Noah zurück und stellte sich schützend vor ihn. „Seine Nächte sind nicht deinetwegen schlaflos. Ganz sicher nicht. Glaube mir, ich weiß es.“

„Das glaube ich dir gern. Neben dir könnte ich auch nicht ruhig schlafen.“ Dazu noch ein abschätziger Blick und die Antipathie war perfekt.

„Könntest und solltest du auch lieber nicht.“ Nein, neben Mokuba dürfte er kein Auge zu machen. Sonst wachte er vielleicht nicht wieder auf.

„Keine Angst. Mein Augenmerk gilt eher Männern, die auf meinem Niveau liegen.“ Wobei er Noah einen gierigen Blick zuwarf. Es war ihm egal wie lange Mokuba nun schon sein Partner war und es war ihm auch egal, wie gemein er reden konnte. Er wollte an Noah ran und bisher hatte er wohl immer jeden bekommen, den er wollte.

„Niveau?“ Mokuba blickte nun an ihm hinauf und hinab wie Tjergen es bereits bei ihm getan hatte. „Du hast zwar ein hübsches Äußeres, aber Niveau kann ich keines erkennen. Entschuldige, falls das jetzt unhöflich klang.“

„Keine Sorge, deine Worte perlen an mir ab.“ Er widmete sich wieder Mokuba und erwiderte den falschfreundlichen Blick. Die beiden konnten sich nicht riechen. Ein Wunder, dass sie sich noch nicht die Augen ausgekratzt hatten, doch die fliegenden Funken entzündeten gleich die Tischdecke.

„Also, mir gefällt das hier nicht.“ Noah musste irgendetwas unternehmen. Mittlerweile verfolgte schon das ganze Restaurant diese schwule Szene. Die einen amüsierten sich, andere waren peinlich berührt, wieder andere machten Wetten. Er selbst fand das zwar interessant, aber Hannes verhagelte es das Geschäft. „Bitte zügelt euch beide etwas. Ihr habt gar keinen Grund, eure …“

„Halt dich da raus, Hase“ fuhr Mokuba ihm übers Maul und verschränkte lässig seine Arme. „Tjergen, ich will dich mal aufklären. Noah und ich sind seit über zehn Jahren ein glückliches Paar und du hast nicht die geringste Chance, ihm auf die ein oder andere Weise näher zu kommen. Also mach deinen Job, zieh dich aus und lass dich mit Hautcremes ablichten oder stakse in Mailand in Alienklamotten herum und lass dich von fetten, alten Säcken haushalten, aber sei so gut und geh uns nicht auf den Sack.“

„Du hast ja eine interessante Meinung von meinem Leben. Daran merkt man, dass du keine Ahnung hast, was Repräsentation bedeutet. Also lass mich dich aufklären, Süßer.“ Er hängte die Daumen in seine enge Hose und seine braunen Augen funkelten vor Erregung. Er genoss den Kampf. „Ich bin etwas realisitischer und suche mir meine Liebhaber aus. Und anstatt mich, wie du, haushalten zu lassen, arbeite ich für mein Vermögen. Also bleib du dabei und rühme dich mit deinem Nachnamen. Gib das Geld aus, welches andere für dich verdienen und spiel die Beziehungsnutte für deinen Gönner. Aber tu der Welt einen Gefallen und gib nicht auch noch damit an.“

„Du bist ein ganz armes Würstchen. Weißt du das eigentlich? Du tust mir leid.“ Auch wenn Mokuba nicht einen Hauch von Mitleid zeigte. „Du baggerst vergeblich. Noah interessiert sich nicht einen Deut für dich und du merkst es nicht mal.“

„Das sah in den letzten Tagen anders aus“ entgegnete er mit einem Seitenblick auf Noah. Der öffnete zwar den Mund, aber wurde jedes Mal wieder unterbrochen.

„Für dich wahrscheinlich. Du merkst es doch gar nicht, wie du dich anbiederst. Noah wird mich nicht für einen wie dich verlassen. Nicht mal für einen schnellen Fick auf’m Bahnhofsklo oder wo du es sonst so mit deinen Freiern treibst. Also träume weiter von m e i n e m Traummann und mach’s dir selbst.“

„Sorry, du spielst hier leider keine Rolle.“ Er legte die Schultern zurück und trat in einen aktiven, aber noch recht entspannten Stand. „Im Gegensatz zu dir bin ich weltgewandt, erfahren und sehr strebsam. Ich kann mich auf internationalem Parkett bewegen, ohne mich zu blamieren. Noah und ich spielen auf einer Ebene miteinander, die ein kleiner Junge mit einem Schandmaul wie deinem gar nicht verstehen kann.“

Mokuba trat ganz dicht zu ihm und machte sich groß, löste jedoch nicht seine kräftig vor der Brust liegenden Arme. „Erstens bin ich größer als du und soweit ich weiß auch ein Jahr älter. Wer ist hier bitte der kleine Junge?“

„Moki, bitte.“ Noah versuchte, zu intervenieren, doch die beiden würden nicht damit aufhören bis einer die Schlacht gewonnen hatte. Und dass Seto daneben saß und sich das betrachtete wie alle anderen am Tisch auch, half nicht weiter. Das hier war zwar Noahs Problem, doch zwei von der Sorte wuchsen ihm über den Kopf.

„Äußerlich ist an dir nichts auszusetzen, dafür siehst du mir zu ähnlich. Aber klein bist du im Kopf.“ Tjergen lächelte ihm frech ins Gesicht und seufzte herablassend. „Weißt du, Süßer, es gibt zwei, vielleicht drei Arten von Menschen. Ich will es dir mit einem Sinnbild verdeutlichen.“

„Nur zu.“

„Noah ist eine Königin. Er hat eine natürliche Anziehungskraft und weiß wie man niedere Geschöpfen für sich einspannt und hoch über ihnen, über den Dingen steht. Er ist eine geborene Königin, genau wie ich eine bin. Dann gibt es eine Unmenge von gewöhnlichen Arbeiterinnen. Das ist der Großteil der Menschheit. Sie tun alles, um einer Königin nahe sein zu dürfen, um ihr zu dienen und sie anzubeten. Und dann“ betonte er mit einer wegwerfenden Geste, „dann gibt es noch das Krabbelgetier außerhalb des Stocks. Primitives Leben, das keine Ahnung hat um die Ehre, auf derselben Wiese wuseln zu dürfen. Noah und ich, wir sind Königinnen in unserem Stock. Und du, nun ja, du bist im besten Falle ein Mitglied des Kriechgetiers, das von unten raufglotzt und denkt, es wäre von derselben Gattung, nur weil ab und zu etwas Honig auf es herabtropft.“

„Boah!“ Das entwich Joeys Mund, doch alle dachten dasselbe. Das war so ziemlich das Härteste, was Mokuba sich jemals hatte anhören müssen.

„Du siehst also, ich brauche keine eheähnliche Lebensgemeinschaft, um mit Noah verbunden zu sein. Denn wir sind von Natur aus einander nahegestellt. Nur eine Königin kann eine andere verstehen.“

„Also, Tjergen. Bitte höre mal“ bat Noah, doch Mokuba streckte den Arm aus und hinderte ihm am Weitergehen. Das regelte er alleine. Und das sicher nicht so diplomatisch wie Noah es tun wollte.

„Sagst mir, ich sei nicht erfahren und hast selbst keine Ahnung. Du hast eine wichtige Gruppe vergessen. Kann daran liegen, dass du solche Menschen in deinem Leben nicht kennst“ lächelte Mokuba und hatte die Beleidigung besser weggesteckt als erwartet. Oberflächlich jedenfalls. Jetzt holte er zum Konter aus. „Da gibt es noch die Drohnen. Die Drohnen sind nicht nur die unangefochtenen Liebhaber ihrer Königin, sondern verteidigen den Stock auch gegen Eindringlinge. Und besonders fremde Königinnen sollten sich vor ihren Stacheln fürchten.“

„Du meinst, ich soll mich vor deinem Stachel fürchten?“ Er hob ein Lachen an, legte den Kopf zurück und lachte ihn aus. Dann seufzte er und wischte sich eine imaginäre Träne vom Kajalstrich, während er mit offenen Lippen weiterlächelte. „Moki, du bist süß. Wenn’s ums Stechen geht, habe ich weit mehr Königinnen auf weit mehr Wiesen gestochen als du.“

„Die Kunst liegt darin, die Königin nicht zu stechen, sondern sich auf die richtige Art und Weise stechen zu lassen, wenn du das Wortspiel verstehst. Und meine Königin wird sich ganz sicher nicht auf fremden Wiesen umsehen.“

„Ach? Glaubst du das?“ Tjergen blickte an ihm herab und blieb spöttisch auf seiner Körpermitte hängen. „Nun, mit deinem kleinen Stachel … wahrscheinlich fehlt dir die Vergleichsmöglichkeit. Manchmal sehnen sich die Königinnen nach ebenbürtigen Partnerinnen zum Stechen UND Gestochenwerden. Wenn du das Wortspiel verstehst.“

„Langsam wird mir das zu blöd.“ Jetzt wurde Mokuba sogar rot auf den Wangen und die Wut sprang ihm aus seinen nachtfunkelnden Augen. Und Noah verbot er mit einer Geste nochmals das Sprechen. „Verpiss dich, Flittchen. Sonst bekommst du gleich einen Stachel zu spüren, den du noch nicht kanntest.“

„Du nimmst mein Sinnbild ja wirklich sehr ernst“ schmunzelte er. „Mag sein, dass du dich stark fühlst, aber irgendwann wird Noah sich jemanden nehmen, der ihm ebenbürtig ist und mit dem er sich in der Öffentlichkeit zeigen kann. Jemanden, der in sein öffentliches Leben passt. Jemanden wie mich. Und nicht einen naiven, minderbemittelten, mitleiderregenden Waisenjungen wie dich.“

„Halt die Schnauze, du Nutte! Du weißt gar nichts von meiner Familie!“

„Und du weißt nicht, wo dein Platz ist. Dein Glück, dass du einen großen Bruder hast, der sich den richtigen Adoptivnamen gesucht und dich mitgenommen hat. Ohne den guten Namen Kaiba säßet ihr beide auf der Straße. Du armer, kleiner, heimatloser Prolet mit Schandmaul.“

„Pass auf, was du sagst!“

„Letztlich bist du in Noahs Leben doch nicht mehr als ein Mitleidsakt. Traurig, dass du das nicht erkennst.“

„Tjergen!“ Jetzt wurde Noah trotz Redeverbot deutlich. „Das geht zu weit. Stopp das.“

Mokuba zitterte am ganzen Körper und vor Wut fiel ihm für drei Sekunden keine Antwort auf Tjergens freches Grinsen ein. Doch dann änderte sich seine Stimmung plötzlich. Er entspannte sich und überblickte den kurzen Abstand zu dem Model mit einem gönnerhaften Lächeln. Er war für einen Augenblick so relaxt, dass es selbst Noah die Sprache verschlug.

„Heeyy“ grinste Mokuba und wandte sich halb ab. Doch dann blitzte es in seinen schwarzen Augen, er ballte die Faust, schoss herum und traf den anderen mitten ins Gesicht.

Auf ein Knacken folgte ein schmerzlicher Aufschrei des Getroffenen. Tjergen drehte sich fast um sich selbst, bevor er auf den Fußboden fiel und sich die Hände vors Gesicht hielt. Sofort spritzte das Blut zwischen den Fingern hindurch und besprenkelte den Holzboden.

„MEINE NASE! OH GOTT, MEINE NASE!“ schrie er und kämpfte sich auf die Knie.

„Mokuba!“ Noah wusste nicht, von wem er nun mehr geschockt war. Von Tjergens verbalen Tiefschlag oder von Mokubas rechtem Haken. Auf jeden Fall kniete er sich instinktiv zu dem Verletzten hinab und hielt ihn an den Schultern fest, damit er aufrecht sitzen konnte. Selbst die anderen zuckten auf ihren Plätzen und waren zum Teil aufgesprungen, um dazwischen zu gehen.

Doch Mokuba grinste selbstzufrieden und bewegte prüfend seine Hand, betrachtete seine erfolgreichen Knöchel. Ein Schlag reichte ihm schon. „In den Filmen tut das immer weh, aber so eine Nase ist weicher als man denkt.“

„MEINE NASE! SPINNST DU? DU HAST MIR DIE NASE GEBROCHEN!“ schrie er außer sich und versuchte ihn anzusehen. Noahs Hilfeversuch war ihm in diesem Moment egal.

„Pech. Da ist die Königin von der Drohne wohl aus dem Stock gestochen worden.“

„Oh Gott … meine Nase …“ Der Schock lähmte ihn und seine Augen suchten schwindelig nach einem Anhaltspunkt. „Mein Gesicht … meine Nase …“

„Hey, ganz ruhig. Nicht zu fest draufdrücken“ versuchte Noah zu helfen und legte den Arm um ihn. „Kann mal jemand einen Arzt rufen?! Hannes!“

Der hing schon am Telefon und telefonierte einen Krankenwagen herbei.

Noah konnte die gefallene Königin noch festhalten, bevor Tjergen in seinen Armen zusammensackte und das Bewusstsein verlor. Nicht nur der Schock, sondern auch der plötzliche Blutverlust waren zu viel.

„Mokuba! Du kannst ihm doch nicht Nase brechen. Tickst du noch richtig?“

„Er hat es herausgefordert“ erwiderte er zufrieden und küsste seine Faust. „Niemand hat das Recht, so über meine Familie zu sprechen.“

„Und du hast nicht das Recht, ihm sein Leben kaputt zu machen. Mit einer schiefen Nase, ist seine Karriere beendet.“

„Ach, die Ärzte flicken das schon wieder hin. Eine Schönheits-OP mehr oder weniger fällt bei dem auch nicht mehr auf. Und wenn du denkst, ich mache ihn wieder heil, kannst du das vergessen.“ Unberührt nahm er die Zigaretten vom Tisch und drehte sich um. „Ich bin dann oben, wenn noch was sein sollte.“ Und so ging er beschwingt die Treppe hinauf und machte sich aus dem Staub. Noah hatte zwar keine Szene bekommen, aber dafür mal die Erfahrung, was passierte, wenn man Mokuba machen ließ.

„Hätte nicht gedacht, dass er so einen Schlag hat“ urteilte Tato nüchtern, während Mokeph trotz seiner Verbundenheit zu seinem Hikari nach Tjergen sah und wenigstens die starke Blutung zum Stillstand brachte. Bis die Sanitäter vor Ort waren und ihn ins Krankenhaus brachten.
 


 

Chapter 34
 

Seto klopfte nur kurz an der Tür, bevor er sich selbst hereinließ. Mokuba saß auf der Fensterbank, qualmte hinaus und streichelte Happy Birthday, welche es sich schnurrend auf seinem Schneidersitz gemütlich gemacht hatte.

„Bitte leise mit der Tür, Danti schläft“ sagte er und aschte in den Aschenbecher. „Die Klinke klemmt.“

Seto schloss also leise hinter sich und hörte an dem Knacken, dass die Klinke sonst lauter einrasten würde. Er trat näher und setzte sich auf die Fensterbank, Mokuba gegenüber zu dessen Füßen. Sofort flatterte Lady auf den Baum davor und sah den beiden beim Sitzen zu. So blieben sie einige Momente still und sahen, dass bereits ein Krankenwagen in der Auffahrt parkte und zwei Sanitäter ins Restaurant huschten.

„Ich weiß, ich hätte ihn vor dir nicht schlagen sollen“ begann Mokuba und zog ruhig an seiner Zigarette. Er wusste, dass Seto beklemmende Gefühle bekam, wenn er körperliche Gewalt sah. „Tut mir leid, dass du das sehen musstest.“

„Nein, er hatte ne Schelle verdient.“

„Bitte?“ Er machte runde Augen und sah seinen großen Bruder verwundert an. „Du findest, das war in Ordnung?“

„Zum Teil. Er hat sich wirklich zu viel rausgenommen.“

„Finde ich auch“ nickte Mokuba entschlossen. „Keiner redet so über meine Familie. Er hat’s wirklich nicht anders verdient.“

„Aber nur zum Teil“ wiederholte Seto und strich Happy Birthdays Rücken. „Ich musste mich erst beruhigen bis ich dir nachgehen konnte. Du hast mich ziemlich geschockt.“

„Also doch. Tut mir leid, Seto.“ Er nahm seine Hand und drückte sie. „Ich weiß, dass du so etwas nicht sehen kannst. Tut mir leid, dass ich nicht an dich gedacht habe.“

„Nein, darum geht es nicht.“ Er entzog ihm seine Hand und schon flatterte Lady herüber, landete auf dem Fenstersims und kletterte seinen Arm hinauf, um ihm beizustehen. Auch Mokuba sah, dass in Setos eisblauen Augen etwas unsicheres lag. Er mochte diesen Blick nicht.

„Tut mir leid, Seto. Ich konnte nicht anders … du hast doch selbst gesagt, er hat’s verdient. Aber ich … tut mir leid, dass du dabei warst.“

„Es ist nicht der Faustschlag, der mich erschreckt hat.“ Er blickte aus dem Fenster und auf die schaulustigen Passanten, die sich den Krankenwagen besahen. „Es hat mich erschrocken, dass du dich dabei so gut gefühlt hast.“

„Ich …“ Im ersten Moment verstand er das nicht. Seto bekam Panikattacken, wenn er auch nur einen Boxkampf im Fernsehen sah. Geschweige denn eine Prügelei auf der Straße. Und nun das.

„Du hast Recht, niemand darf so über uns sprechen“ fuhr er mit gesenkter Stimme fort. „Mir ist auch schon die Hand ausgerutscht. Das kann passieren, wenn man nicht weiter weiß und sich schwach fühlt. Dass du ihn geschlagen hast, ist zwar nicht richtig, aber verständlich. Unverständlich ist mir jedoch, dass du dabei solch eine Genugtuung empfindest, andere zu verletzen.“

„Ich empfinde dabei keine Genugtuung. Ich bin Heiler. Ich verletze andere Menschen nicht gern.“

„Und doch habe ich gespürt, wie ein Hochgefühl in dir aufkam.“ Er blickte ihn an und forschte im Gesicht seines kleinen Bruders. „Du kannst mir nichts vormachen. Du hast dich gut dabei gefühlt. Zu hören wie seine Nase bricht und das Blut … du hast nicht mal ansatzweise Mitleid oder Schuld gefühlt.“

„Warum denn auch? Er ist ein Arschloch sondergleichen.“

„Und doch ist er ein Mensch und du hast ihm Schmerzen zugefügt.“

„Ja, aber …“

„Nein, es gibt kein Aber.“ Er zog seinen Kopf zurück als Lady ihn am Ohr knabberte. Das mochte er jetzt gerade nicht. Da tröstete sie eben weiter seine Haarspitzen. „Du hast ihn geschlagen, weil du nicht wusstest, wohin mit deiner Wut. Das war nicht richtig, aber noch zu rechtfertigen. Aber dass du dich danach so gut gefühlt hast, hatte nichts mehr mit Noah oder mit Wut zu tun. Du hast dich gut gefühlt, weil du ihm Schmerz zugefügt hast. Weil du Macht über ihn hattest. Es war dasselbe Gefühl, welches ich kenne.“

„Du meinst, du fühlst dich auch manchmal so?“

„Ja, schon oft.“ Doch in seinen Augen lag keinerlei Verbrüderung mit diesem Gefühl der Genugtuung. „Nur dass ich derjenige bin, der auf der anderen Seite steht.“

Mokuba sah ihm tief in die Augen und dachte nach, während er dieses kaltwarme Blau betrachtete. Doch erst als Seto seinen Blick abwandte, stellte sich allmählich Erkenntnis ein, was sein großer Bruder ihm schonungsvoll zu sagen versuchte.

„Seto, du … was genau willst du sagen?“

„Du hattest denselben Blick wie sie“ hauchte er und verbarg sein Gesicht, indem er zum Fenster hinaussah. „Wenn sie es tat, hatte sie denselben Ausdruck wie du. Selbstzufrieden und besessen von Macht.“

„Wie kannst du so etwas sagen?“ Mokuba schmiss Happy Birthday von seinem Schoß und stand auf. Er lief ein Mal zur Badezimmertür und wieder zurück. „Wie kannst du so etwas sagen? Ich bin nicht wie sie! Wie kannst du das behaupten?“

„Leise, Dante schläft.“

„Wie kannst du mir so etwas unterstellen? Sieh mich gefälligst an.“ Er stützte sich auf Setos Knie und zwang ihn zu einem Augenkontakt. „Ich bin nicht wie sie und das weißt du. Wie kannst du nur an sie denken, wenn du über mich redest?“

„Hör auf, damit. Lass mich los.“

Mokuba fühlte wie Seto hart wurde und er sah wie er seine Schultern hochzog. Ein deutliches Zeichen dafür, dass er mit seinen Gefühlen kämpfte. „Tut mir leid.“ Also nahm er langsam die Hände weg und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Die schmeckte ihm nun auch nicht mehr. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht anschnauzen.“

„Schon gut.“

„Nein, es ist nicht gut. Mann, Seto.“ Er seufzte und verschränkte die Arme vor dem Bauch. „Ich habe eh schon genug Probleme mit meinem Spiegelbild. Ich will aber nicht, dass du sie siehst, wenn du mich ansiehst. Du als Letzter.“

„Aber du bist ihr sehr ähnlich. Du hast viel von ihr.“

„Trotzdem. Ich will nicht mit ihr in Verbindung gebracht werden. Besonders nicht von dir. Ich hasse sie und das weißt du. Ich bin ein Heiler, ich studiere Medizin. Ich will den Menschen helfen und nicht … nicht wie sie sein.“

„Sie ist krank. Sie kann nichts dafür, dass sie so ist.“

„Das ist doch egal. Sie hatte kein Recht, das mit dir zu tun. Tjergen da unten, dieser arrogante Fatzke, der hat’s verdient. Der ist kein hilfloses Opfer im Gegensatz …“

„Sag’s ruhig. Im Gegensatz zu mir“ ergänzte er mit tonloser Stimme.

„Mann, Seto. Ich liebe dich. Das weißt du.“

„Ich weiß.“ Er kraulte Ladys warme Brust und ihr sanftes Gurren wirkte tröstend. Sie beruhigte seine Nerven mehr als jedes Medikament.

„Ich würde niemals Spaß daran finden, jemand hilflosem Gewalt anzutun.“

„Ob hilflos oder nicht ist egal. Dir ist die Hand ausgerutscht, weil du aufgebracht warst. Bis dahin verstehe ich es ja. Aber ich verstehe nicht, weshalb du danach so zufrieden warst. Und du kannst mir nicht sagen, du hättest kein Glücksgefühl empfunden.“

„Ja, vielleicht habe ich mich gut gefühlt. Aber nur weil er es verdient hatte. Er hat schlecht über uns geredet, ohne zu wissen, was wir erlebt haben. So etwas darf er sich nicht rausnehmen. Ich lasse mich weder von dir noch von Noah haushalten. Er hat doch keine Ahnung! Wie kann er sich so etwas rausnehmen?“

„Aber du sagst es doch. Er wusste nicht, wovon er spricht. Heute ist er es, der redet und dem du eine scheuerst. Morgen ist es jemand anderes und irgendwann hast du es nicht mehr unter Kontrolle.“

„Du weißt, dass ich nicht so bin wie sie. Ich raste nicht aus, nur weil mich jemand mal schief anguckt.“

„Tust du nicht?“ Seto blickte ihn vorsichtig an.

Mokuba spürte, dass er das zu Recht sagte. Er hatte sein Temperament nicht immer unter Kontrolle und wenn man erst die eine Hemmschwelle, einen schlichten Faustschlag, überwunden hatte, war die nächste Schwelle nicht weit. Dennoch … „Seto, ich werde Dante niemals schlagen. Ich werde ihn nicht mal hart anfassen. Egal wie schlecht er sich benimmt. Ich kann niemandem, den ich liebe etwas antun.“

„Das sagst du heute. Mama war auch nicht immer so. Mama war früher auch lieb. Auch sie hatte Träume und gute Wünsche für ihre Familie.“

„Du tust mir weh, wenn du das sagst. Seto.“ Er kniete sich vor ihn und legte ihm behutsam die Hände auf die Knie. „Ich bin nicht wie sie.“

„Ich weiß. Sonst könnte ich auch nicht so mit dir sprechen.“ Er berührte Mokubas Hände, die ihm so warm vorkamen. „Wenn du wie sie wärst, würden dir meine Worte nichts bedeuten.“

„Aber das tun sie. Das weißt du.“

„Ich weiß. Und nur deshalb kann ich dich bitten.“ Er streichelte Mokubas Hände und betrachtete sie. So lange Finger und so feingliedrig. Genau wie ihre. „Bitte achte auf deine Aggression. Wenn du andere verletzt und dich dabei gut fühlst, dann stimmt etwas nicht. Ich weiß nicht wie es bei Mama damals anfing, aber irgendwann wurde sie krank und hatte es nicht mehr im Griff. Ich habe keine Angst vor dir, aber ich habe Angst um dich. Ich will nicht, dass du auch krank wirst.“

„Ich bin nicht wie sie“ wiederholte er nochmals. Auch wenn er die Sorge als berechtigt ansah. Seine neuen Leidenschaften mit Noah und dann das hier. Es passte zu gut zusammen. Auch wenn das Gefühl, welches er zu Noah empfand ein weitaus anderes war als das, was er gegen Tjergen hatte.

„Ich weiß, ich bin nicht der Richtige das zu sagen, aber du musst dich dem stellen, was damals passiert ist. Du hast Dinge erlebt, die ein Kind nicht erleben sollte.“

„Seto. Bitte nicht darüber reden.“

„Lass mich dir das trotzdem sagen, ja?“ Er begegnete endlich wieder seinem Blick und wich nicht aus. „Du darfst dich aus Situationen in denen du dich hilflos oder gereizt fühlst, nicht mit Gewalt befreien. Heute ist es vielleicht jemand, der sich an Noah ranmacht und der es vielleicht sogar verdient hat. Aber du weißt nicht, wer es das nächste Mal ist und irgendwann trifft es jemanden, den du auch seelisch verletzt. Es tut mir leid, dass du damals alles mit ansehen musstest. Dass ich dich nicht davor beschützen konnte.“

„Du warst doch selbst noch ein Kind.“

„Trotzdem hätte ich auf dich aufpassen müssen. Und jetzt muss ich Verantwortung für das übernehmen, was du damals erlebt hast.“

„Unsinn, ich hätte DICH beschützen müssen!“ Er stand auf und schon wieder stieg dieses Gefühl in ihm hoch. Dieses hässliche, kaltbrennende Gefühl. „Ich habe doch gesehen, wie du … wie du auf dem Tisch lagst und sie … sie hat dich festgehalten und ich habe nichts getan, um dir zu helfen! Ich hätte reingehen können, ich hätte schreien können, ich hätte alles machen können, aber nicht einfach nur dastehen! Wäre unsere Nachbarin nicht gekommen, wer weiß ob du das überlebt hättest! Und ich stand einfach nur daneben! Ich werde nie wieder einfach so daneben stehen! Ich werde mir nie wieder etwas gefallen lassen oder zusehen wie jemand anderes …!“

„Aber deshalb darfst du nicht aggressiv werden“ sprach Seto wesentlich ruhiger. Er wusste, dass das alles tiefer in Mokuba lag als der es wahrhaben wollte. „Anfangs ist auch Mama nur die Hand ausgerutscht und es tat ihr leid. Ich will nicht sagen, dass du Dante irgendwann auf dem Tisch festhältst, aber du hast ein Problem mit deiner Hilflosigkeit und das hat sich heute nur verfestigt.“

„Glaubst du?“

„Ich weiß es nicht. Ich bin kein Psychologe“ antwortete er sanft. „Mokuba, ich bin nicht der einzige, der eine schlimme Kindheit hatte. Ich weiß, dass du dich nach deinem Schlag unglaublich gut gefühlt hast. Nur deshalb wühle ich das noch mal auf. Ich mache mir Sorgen und deshalb … Mokuba, bitte such dir jemanden, der dir hilft, das zu verarbeiten. Du schiebst das seit Jahren vor dir her, aber es wird nicht besser.“

„Du meinst also ich entwickle ein Aggressionsproblem?“

„Ich meine gar nichts. Ich weiß nur, dass du Sachen gesehen und gehört hast, die kein Kind so einfach wegsteckt. Und seit ein paar Minuten weiß ich, dass du in Situationen, in denen du dich hilflos fühlst und wenn keiner eingreift, dass du dann so reagierst wie du es damals gesehen hast. So wie ich in meiner Hilflosigkeit die Dinge einfach über mich ergehen lasse, so handfest wehrst du dich. Nur weiß ich, dass ich Probleme habe mit meinen Erlebnissen abzuschließen. Aber ich glaube … ich glaube, du solltest auch anfangen, an dir zu arbeiten. Nicht mir zuliebe und vielleicht nicht mal dir zuliebe. Aber für Dante.“

„Ich werde Dante niemals etwas tun. Niemals. Niemals.“ Er blickte zum Fenster und sah wie der Krankenwagen um die Ecke bog. Und Setos Worte bekamen langsam einen Sinn. Ja, er fühlte sich großartig als er Tjergen zum Schweigen brachte. Doch vielleicht war die Sache an sich nicht so großartig wie sie sich anfühlte. Sich zu wehren war okay, aber nicht okay war es, sich an dem Leid anderer zu freuen. Vielleicht hatte Seto Recht. Heute war sein Faustschlag vielleicht noch zu begründen, aber wäre er das morgen auch noch? Wenn Dante in seiner Unwissenheit ein Messer in die Hand nahm und Mokuba Angst um ihn bekam, war er wirklich so sicher, dass es keinen Klaps gab? Und wenn es einen Klaps gab wie weit weg war dann noch die Hemmschwelle zu einer Ohrfeige? Und wenn Dante sah wie Mokuba sich mit Schlägen gegen andere wehrte, würde er das nicht auch übernehmen? Würde er das falsche Verhalten nicht kopieren wie es jedes Kind tat? So wie Mokuba es unbewusst tat?

„Ich weiß, dass du ein guter Vater bist und Dante über alles liebst“ sprach Seto langsam. „Aber Mama hat mich vielleicht auch mal lieb gehabt. Und vielleicht irgendwo ganz tief in sich drin hat sie mich vielleicht immer noch lieb und kann es nur nicht zeigen.“

„Hör auf. Ich will das nicht mehr hören“ bat Mokuba und kämpfte die Tränen zurück.

„Mama hatte niemanden, der zwischen sie und ihre Wut getreten ist. Mama war alleine. Du bist das nicht. Und allein deshalb …“

„Seto, hör auf.“ Es wühlte ihn auf, wenn Seto so liebevoll über ein Monster wie sie redete. Ja, vielleicht war sie nicht immer böse und vielleicht war sie einsam, aber letztlich war sie ein Monster geworden. Eines, welches er hasste für all das, was sie ihren Kindern angetan hatte. Ihre Tochter hatte sie sterben lassen, ihren einen Sohn fast zu Tode gefoltert und ihrem dritten Kind nur falsche Liebe gegeben. Und ob er es nun wahrhaben wollte oder nicht - er war nun mal ihr Sohn. Und er wollte nicht sein wie sie. „Ich glaube nicht, dass ich irgendwann mal Hand an irgendjemanden legen werde … jedenfalls an niemanden, der es nicht verdient hat. Aber du bist mein großer Bruder und wenn du mich bittest, dass ich mal mit meinem Psychologen rede, dann tue ich das.“

„Mein Gewissen wäre auf jeden Fall ruhiger“ antwortete er und setzte eine Atempause. Mokuba kam es vor als wäre Seto nun etwas erleichtert. „Es tut mir leid, dass ich dich damals nicht davor beschützen konnte, dass du all das mitbekommst. Dein Leben hätte anders sein sollen.“

„Und mir tut es leid, dass ich nichts getan habe“ erwiderte auch er. „Ich habe es gewusst und doch hatte ich nie den Mut, mich jemandem anzuvertrauen. Wenn ich geredet hätte, wäre es vielleicht einfacher geworden.“

„Du warst noch ein Kind. Es ist ganz normal, dass du nichts tun konntest. Du wusstest genauso wenig wie man damit umgehen sollte wie ich. Dennoch mache ich mir Vorwürfe. Ich habe geahnt, dass du es wusstest und habe immer gesagt, es wäre nichts. Anstatt dir zu helfen, habe ich dich angelogen und verhindert, dass du über deinen Schmerz sprichst. Das war falsch.“

„Nein, es war nicht falsch. Du hast mir damit Kraft gegeben.“

„Und doch habe ich nie darauf bestanden, dass du darüber sprichst. Weder mit mir noch mit einem Erwachsenen. Ich hätte das alles nicht verdrängen dürfen. Dann wäre es vielleicht auch dir leichter gefallen und du wärst nicht so wütend. Ich war dir kein gutes Vorbild.“

„Ich habe schon damals geglaubt, dass du der stärkste Mensch der Welt bist. Und das glaube ich immer noch.“ Er kam zwei Schritte näher und berührte Setos Schulter, bevor er Ladys Kopf kraulte. „Wir sind beide ziemlich verkorkst, oder?“

„Tja“ seufzte er und erwiderte den schnäbelnden Kuss seiner Falkendame, die alles tat, um ihn zu trösten. „Ich bin froh, dass du das so aufnimmst. Ich dachte, du schimpfst, wenn ich dir das sage.“

„Ach Seto. Wann schimpfe ich denn schon mit dir?“

„Na ja …“

„Okay. Wenn’s ernst ist, meine ich“ lachte er und sah ihn lieb an. „Darf ich dich drücken? Oder magst du das gerade nicht?“

„Doch, das halte ich aus. Komm her.“ Er breitete die Arme aus und Mokuba beugte sich zu ihm, setzte sich letztlich aber auf seinen Schoß, um ihn richtig zu umarmen. Seto war gesund kühl und fühlte sich fest und breit an. Der perfekte Beschützerbruder mit einem unendlich weichen Wesen. Und es war gut zu wissen, dass man sich aussprechen konnte. Auch über die Dinge, welche man lieber verschweigen würde.

Er löste sich erst wieder als er spürte, dass Seto ihn sanft fortdrückte. Zuerst dachte er, dass es ihm zu viel wurde, doch dann sah er aus dem Augenwinkel eine Bewegung und dann nach einem Kopfdrehen Noah in der Tür stehen. Angelehnt an den Rahmen mit Hand an der kaputten Klinke.

„Wie lange stehst du da schon?“

„Seit dem ‚Wir sind verkorkst‘-Eingeständnis.“

„Und dann beschwere dich noch ein Mal, dass ich in Voyeur sei.“

„Das hier ist übrigens auch mein Schlafzimmer“ gab er zu bedenken und ließ sich selbst herein. „Hat unser Bruder dir die Leviten gelesen oder muss ich das noch erledigen?“

„Wir haben wahrscheinlich über was anderes gesprochen als du denkst.“ Er rutschte von Setos Schoß neben ihn, faltete die Hände und blickte fromm zu Boden. „Okay, leg los. Mach mich zur Schnecke.“

„So macht das keinen Spaß mit dir.“ Noah nahm auf dem Bett Platz, womit er ihm fast gegenüber saß. Seinem Gesichtsausdruck zu folgern, war er nicht mal ansatzweise so sauer wie Mokuba vermutete.

„Bist du nicht sauer, weil ich schon wieder einen deiner Freunde gedisst habe?“

„Tjergen zähle ich nicht zu meinen Freunden. Ich mag ihn, aber wir sind ne Zweckgemeinschaft“ erklärte er und schlug die Beine übereinander. „Bis auf deinen rechten Haken fand ich die Sache eigentlich ganz amüsant.“

„Hä?“ Da kam Mokuba nicht mehr mit. Und dass Happy Birthday ein forderndes „Mauwau!“ hinzufügte und zurück auf seinen Schoß sprang, klärte die Sache auch nicht. „Ich dachte, du wärst super angepisst.“

„Anpissen tut mich nur der da“ nickte er zur Seite. Dort versuchte gerade sein Lieblingskaterfeind in den Kleiderschrank zu krabbeln - wahrscheinlich um sich über Noahs Hemden herzumachen, die er im wahrsten Sinne des Wortes … nun ja.

„Hello! Pfui!“ Der Kater blieb stocksteif stehen und erstarrte zur Salzsäule. Vielleicht sah Herrchen ihn dann nicht mehr? „Raus aus dem Schrank! Du spinnst wohl!“ Doch als er sich noch immer nicht bewegte, gab er seiner treuen Katze einen Klaps, die dann auch sofort lossprang und ihren Gemahl in den buschigen Schwanz biss. So fest, dass er jaulte und den nächstbesten Weg ins Badezimmer nahm, wo auch das korrekte Örtchen für sein Vorhaben stand.

„Er tut das nur, um mich zu ärgern.“

„Ich habe doch gesagt, Kastration bringt nichts.“

„Okay, zurück zum Thema“ schloss er und widmete sich wieder den Dingen, die er sofort klären konnte. „Dir ist doch wohl klar, dass Tjergen dich jetzt verklagen wird.“

„Meinst du?“

„Ja, hör mal.“ Er zog die Augenbrauen zusammen. „Du hast gerade dem Top-Model unseres Jahrzehnts die Nase gebrochen. Du glaubst doch wohl nicht, dass er das auf sich sitzen lassen wird.“

„Der hat doch garantiert Versicherungen, die sowas abdecken.“

„Ja sicher, aber verklagen wird er dich trotzdem. Das ist dasselbe als würdest du einem Fußballer das Bein brechen.“

„Finde ich nicht. Ein Fußballer kann dann seinen Job nicht mehr machen. Tjergen kann immer noch Körpermodell sein.“

„Das erkläre mal seinem Anwalt.“

„Quatsch, das erklären ihm unsere Anwälte.“

„U n s e r e Anwälte?“ wiederholte Noah skeptisch. „Ich bin nicht derjenige, der ihm die Karriere ruiniert hat.“

„Ich meine, die Anwälte, die uns immer bei so was vertreten.“

„Du meinst, die Anwälte, die Seto, Joey und mich für die KC vertreten. Soweit ich weiß, hast du überhaupt keine Anwälte, Kleiner.“

„Aber du besorgst mir welche.“

„Wie gesagt, ich habe keinen so dollen Haken wie du.“

Jetzt wurde Mokuba flau im Magen. Wenn Noah ihm keinen guten Anwalt engagierte, konnte er sein Medizinstudium in den Wind schießen und erst mal Jura im Schnelldurchgang machen. Und selbst dann sah es noch dunkel aus. Und ein Blick zu Seto zeigte auch nicht viel Mitleid. Die Suppe hatte er sich selbst eingebrockt.

„Jetzt sieh nicht so bange drein. Wir regeln das schon“ löste Noah seine Gemeinheit auf und lächelte ihn beruhigend an. „Wir bezahlen einfach den Vergleich und gut ist. Viel mehr Sorgen mache ich mir um unser Image.“

„Image?“

„Wenn die Presse rausbekommt, dass mein Freund Top-Models verprügelt, ist das ein gefundenes Fressen. Das liegt mir viel mehr auf der Seele als ein paar Millionen.“

„Tut mir leid, dass ich euch immer Probleme mache“ entschuldigte er sich und sah auch zu Seto. „Wirklich, tut mir leid.“

„Um mein Image brauchst du dir keine Sorgen machen. Das kann nicht übler werden.“

„Aber meines. Da habe ich lange für gelächelt bis mich alle für einen netten Kerl halten“ sprach Noah ernst.

„Super ey. Ne Standpauke gleich von beiden“ seufzte Mokuba und strich sein Haar zurück. „Das habe ich wohl verdient.“

„Wundert mich, dass du so schuldbewusst tust“ meinte Noah und beugte sich leicht zu ihm vor. „Willst du mir keine Szene machen?“

„Szene? Warum?“

„Du bist ja lustig, Häschen. Bei jedem Mann machst du mir Szene, selbst wenn der 50 Jahre älter ist als ich. Und da kommt so ein leckerer Kerl, der so absolut meinem Geschmack entspricht und dir obendrein noch gleicht wie ein Klon und das juckt dich nicht?“

„Warum? Hattest du was mit ihm?“

„Ich habe mich recht oft mit ihm getroffen und ihn sogar ins Bett getragen als er betrunken war. Und er hat mir schöne Augen gemacht.“

„Aber gehabt hast du nichts mit ihm. Ich meine Sex.“

„Natürlich nicht!“

„Dann ist doch alles gut“ zuckte er mit den Schultern.

„Also, jetzt wundere ich mich aber auch“ musste Seto erstaunt zugeben. „Dieses Model sah dir verdammt ähnlich und entspricht so genau Noahs Vorlieben, dass es fast verständlich wäre, wenn er weich würde und das kratzt dich nicht?“

„Nein, überhaupt nicht“ betonte Mokuba noch mal.

„Aber du bist doch sonst so eifersüchtig.“ Noah wollte es sich nicht anmerken lassen, aber ein bisschen enttäuscht war er schon. „Lassen deine Ansprüche auf mich langsam nach? Ist es wegen der Fältchen an meinen Augen?“

„Du hast Fältchen an den Augen?“

„Sag bloß, das hast du noch nicht gesehen? Ich bin runde 30 und …“

„Unsinn, du hast keine Falten, du Spinner.“

„Wer hier spinnt, bist du“ meinte Seto. Ausnahmsweise durfte er nun auch mal jemand anderen als Spinner brandmarken. „Hat dir jemand das Gehirn gewaschen? Dass dieser Tjergen Noah ins Bett locken wollte, habe sogar ich mitbekommen.“

„Eben genau deshalb mache ich mir keine Sorgen.“

„Ich werde verrückt“ rief Noah aus, raufte sich die Haare und fiel rückwärts aufs Bett zurück. „Ich verstehe die Welt nicht mehr.“

„MAUA!“ Und Happy nahm sofort die Gelegenheit Noahs Bauch für sich zu erobern.

„Das kann ich dir ganz einfach erklären.“ Zur Abwechslung wusste Mokuba sogar mal, was mit ihm los war. Er wechselte den Platz und setzte sich auf Noahs Beine, um ihm direkt von oben ins Gesicht zu sehen. „Eben genau der Fakt, dass Tjergen mir so ähnlich ist, lässt mich so ruhig bleiben.“

„Und weshalb, wenn man fragen darf? Du weißt, dass ich auf die Art Mann wie ihn abfahre. Bei solchen Typen werde ich willenlos.“

„Du wirst bei Typen wie mir willenlos, mein Schatz“ lächelte er selbstsicher. „Wenn du mich betrügen wolltest, würdest du dir jemanden suchen, der dir etwas bietet, was du nicht hast. Es müsste jemand sein, der besonders männlich ist, rau und vielleicht mit Körperbehaarung.“

„Ierk“ verzog Noah das Gesicht. Allein der Gedanke an behaarte Männerbrüste jagte ihm eine Gänsehaut in den Nacken.

Happy wurde das zu aufregend. Sie rutschte von Noahs Bauch und sprang zurück auf die Fensterbank. Vielleicht wollte Seto ja mit ihr kuscheln.

„Siehst du?“ schmunzelte sein Häschen. „Ich entspreche doch voll und ganz dem Bild, das du in deinen Träumen siehst. Ich bin schlank, habe volles, langes Haar, dunkle Augen und einen schlichten, eleganten Stil. Außerdem bin ich eine dominante Zicke. Und das alles von Natur aus. Warum solltest du dir also den Stress machen und mich mit Tjergen betrügen? Bei mir bekommst du ganz legal das, worauf du stehst. Auch die ganz üblen Dinge“ betonte er mit hochgezogener Augenbraue. Wusste er doch schließlich, dass Seto hinter ihm saß. „Wenn du dir ein Abenteuer suchst, dann mit jemandem, der dir etwas bietet, was ich dir nicht biete. Aber solange du dich mit Typen abgibst, die genauso sind wie ich, mache ich mir keine Sorgen. Mit denen treibst du es nicht und weißt du auch warum?“

„Ähm … warum?“

„Weil du zu praktisch denkst“ grinste er. Er kannte doch seinen Noah. „Du holst dir nicht unter größter Anstrengung das, was du bereits hast. Das wäre nicht ökonomisch. Und deswegen weiß ich, dass Tjergen dich nicht ins Bett kriegen würde. Solange du noch auf Typen wie mich abfährst, ist alles in Ordnung.“

„Du erstaunst mich immer wieder“ konnte Noah da nur sagen. Er hatte eine Szene erwartet wie es sie niemals eine zweite gegeben hatte. Und dabei war Mokuba vollkommen entspannt.

„Tatsächlich?“ lächelte er, beugte sich vor und hielt Noahs Hände neben dessen Kopf auf die Matratze gedrückt. „Dann sage mir mal, weshalb du ihn wollen würdest und nicht mich?“

„Ähm … ich weiß nicht?“

„Siehst du? Du würdest mich nicht mit so einem betrügen. Weil ich deine Gelüste bereits kenne. Und weil ohne mich müsstest du dir eine männliche Domina suchen, welche deine kleinen, schmutzigen Wünsche erfüllt und das fiele dir äußerst schwer.“

„Ooooookay“ sprach Seto langsam und erhob sich. „Das ist wohl der Moment, in dem ich mich ausklinken sollte.“

„Ach, komm schon“ schmunzelte Mokuba. „Du weißt doch, dass Noah und ich es treiben wie die Karnickel. Und mein Hase hat so eine leckere Möhre.“

„Ja schon, aber … Moki, musst du das jetzt sagen? Die Bilder werde ich ja nie wieder los“ erwiderte er mit einem verzweifelten Blick. „Du bist mein Bruder und Noah auch. Allein der Gedanke daran, wie ihr … nein, ich gehe“ winkte er ab und schwankte zur Tür. Er wollte das alles gar nicht wissen.

„MAU?!“ Ging der jetzt etwa auch?

„Dann komm doch mit, Happy.“

„Krrrriiiiiiiiiiia!“ machte auch Lady einladend.

„Aber Moki“ schmunzelte Noah nun ihn an. „Du weißt schon, dass Seto und Yugi auch so manche Sachen miteinander tun, ja? So mit Möhren in …“

„Noah!“ Und davon wollte Mokuba nun nichts hören. Er wollte sich nicht mal vorstellen wie Seto dabei aussah, wenn Yugi ihn … „NEIN! Das will ich mir nicht mal vorstellen!“

„Na ja, wie du schon gesagt hast“ zwinkerte Seto seinem kleinen Bruder ein letztes Mal zu. „Die Kunst besteht nicht darin, zu stechen, sondern sich auf die richtige Art und Weise stechen zu lassen.“

„Aaaaah! SETO! Musstest du das sagen?“ Er hielt sich den Kopf und fiel qualvoll aufs Bett. „Böse Bilder im Kopf. Bööööse Bilder. Super, danke ey!“

„Nichts für ungut“ lachte der und zog leise die Tür hinter sich zu. Er hörte seinen kleinen Bruder drinnen noch seine bösen Bilder vertreiben, doch Seto fiel da noch etwas viel wichtigeres ein. Das konnte er nicht einfach so im Raume stehen lassen. Also öffnete er die Tür nochmals und schaute hindurch. „Übrigens Moki.“

„Was denn noch?“ Der schälte sich gerade von Noahs Schoß und richtete sein Haar.

„Du warst zwar schlagfertig, aber Drohnen haben keinen Stachel und verteidigen tun sie auch nichts. Sie dienen allein der Befruchtung.“

Und damit Mokuba es nicht sagen musste, ging glücklicher Weise gerade Joey über den Flur und gab im Vorbeigehen seine übliche Meinung ab: „Drache, du bist so ein Klugscheißer.“

Und der erwiderte routiniert: „Klappe, Idiot. Ich kann nichts dafür, dass du dumm bist wie ein Stück Brot.“

„Dafür will mich die ganze Welt.“

„Bitte?“ Auf dem Regal neben der Tür stand eine leere Blumenvase zur Dekoration. Diese drehte Seto schnell auf den Kopf und verfolgte Joey dann über den Flur. „Was sollte denn dieser unqualifizierte Kommentar?“

„Das war sehr qualifiziert, Mister. Hast du noch nie was von der Organisation ‚Brot für die Welt‘ gehört? Es ist also keine Beleidigung, wenn du mich Brot nennst.“

„Die Betonung lag nicht auf Brot, sondern auf dumm.“

„Ach, lass das doch. Im Gegensatz zu dir hat man sogar mit Bernd dem Brot mehr Spaß.“

„Mit mir kann man sehr wohl Spaß haben!“

„Womit denn? Mit Rumsitzen und Schmusen? Oder mit Schokolade futtern? So langsam zweifle ich eh daran, ob du überhaupt männliche Hobbys hast.“

„Natürlich habe ich männliche Hobbys!“

„Ja? Welche denn?“

„Ich … ähm …“ Ja, welche denn?

„Siehste. Nicht männliche Hobbys, höchstens Hobbys mit Männern. Das ist schwach, Drache. Echt schwach.“

„Du hast ja auch keine männlichen Hobbys!“

„Habe ich sehr wohl!“

„Welche denn?“

„Ich … ähm …“ Touché. „Ich spiele Videospiele!“

„Ich ENTWICKLE Videospiele!“

„Wenigstens liege ich beim Sex oben wie jeder anständige Mann!“

„Wieso behauptest du ständig, ich sei kein echter Mann?“

„Weil du in jeder Hinsicht wie ne Frau bist. In Hobbys und im Bett.“

„Was ich im Bett mache, geht dich gar nichts an.“

„Wünschte ich ja auch, aber du bist so laut, dass man gar nicht drumrum kommt!“

„Wenigstens muss ich nicht darum betteln, mal Sex zu bekommen!“

„Du wechselst das Thema, Alter. Geh erst mal deine Happy-Pillen einschmeißen, sonst kann man ja gar nicht mit dir reden.“

„Nur weil ich in meinem Niveau gar nicht bis zu dir runtersinken kann. Kein Wunder, dass du mich nicht verstehst!“

„SETO! JOEY! TÜR ZU!“
 


 

Chapter 35
 

„Ich hasse Krankenhäuser“ seufzte Mokuba. Sie waren an der richtigen Tür angekommen, Noah hatte sogar einen gigantischen Blumenstrauß dabei. Dennoch hatte er Flaute im Magen. „Wiederhole doch bitte noch mal, warum ich mich bei Tjergen entschuldigen soll.“

„Weil du ein guter Mensch bist, der seine Fehler bereut.“

„Die Variante ‚Damit er dich nicht verklagt‘ hat mir besser gefallen.“

„Davon abgesehen, solltest du Krankenhäuser nicht hassen. Du studierst doch Medizin, mein Häschen.“

„Ich werde aber kein praktischer Arzt, sondern Wissenschaftler.“

„Die müssen auch mal ins Krankenhaus. Und wenn es nur ist, um sich zu entschuldigen. Also los jetzt.“ Er klopfte an die Tür, wartete drei Sekunden und öffnete sie dann langsam.

Sobald er seinen Kopf hereinsteckte, hörte Mokuba ein glücklich nasales „Noah!“.

„Guten Morgen, Terry. Komm.“ Er ging hinein und ließ Mokuba nach sich eintreten.

„Und dein Anhängsel“ stellte die nasale Stimme weniger erfreut fest.

„Wir haben dir Blumen mitgebracht. Dunkelrote Rosen. Du liebst doch Rosen, oder?“

„Danke.“

Noah gab dem Kranken zwei Wangenküsse und legte die Blumen auf dem Teewagen neben dem Bett ab. Mokuba schloss zwar die Tür, aber hielt noch etwas Abstand. Das sonst so hochgestylte Model sah plötzlich ganz anders aus. Tiefe Augenringe und ein dicker Verband um die Nase. Jetzt sah Mokuba, dass auch über seiner Lippe ein Pflaster haftete. Das Haar war zwar streng geflochten und mit einem gewissen Fettglanz. Nur das kurzärmlige, hellbraune Shirt wirkte modisch, auch wenn die Krankenhausdecke mit ihrem hellgrünen Bezug einen krassen Kontrast bildete.

„Wie geht es dir?“ Noah zog zwei Stühle herbei und zwang Mokuba mehr oder weniger, sich herzusetzen. Was er dann auch tat. Da musste er jetzt durch.

„Geht so“ antwortete Tjergen mit gequetschter Stimme. „Sie haben mein Nasenbein geschient, aber es ist ein Splitterbuch und muss noch mal operiert werden. Und meine Lippe musste auch genäht werden. Und eine leichte Gehirnerschütterung habe ich auch. Ganze Arbeit.“ Er warf Mokuba einen undeutlichen Blick zu. „Meine saubere Karriere kann ich jetzt an den Nagel hängen.“

„Das bekommen wir wieder hin“ versprach Noah und Mokuba musste tatenlos zusehen wie er Tjergens Hand griff. „Ich lasse dir noch heute den besten Chirurgen einfliegen, er sitzt bereits im Flieger hierher. Und die Kaiba Corp. wird an ihrem Werbevertrag mit dir natürlich festhalten.“

„Wenn ich nicht selbst davon zurücktrete“ eröffnete er und lehnte sich zurück. „Um ehrlich zu sein, habe ich im Augenblick wenig Lust, mit deiner Bagage noch etwas zu tun zu haben.“

„Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe“ versuchte Mokuba sich an einer Entschuldigung. „Es ist mit mir durchgegangen. Ich weiß, dass es dafür keine Entschuldigung gibt, aber ich wollte dich nicht so hart treffen.“

„Hast du aber. Und das ganz großartig.“

„Du hast aber auch sehr verletzende Dinge gesagt“ verteidigte Noah sein Häschen. Wenn auch mit sehr freundlicher, fast zärtlicher Stimme. „Mokuba und Seto haben keine leichte Vergangenheit. Und das hast du geahnt.“

„Trotzdem habe ich niemanden berufsunfähig gemacht. Wenn du hier bist, um mich zur Schnecke zu machen, kannst du dir das schenken, Noah.“

„Nein, wir sind hier, um uns zu entschuldigen“ sagte Mokuba erneut. „Um mich zu entschuldigen.“

„Und natürlich, um nach dir zu sehen, Terry. Hast du alles, was du brauchst?“

„Ja, alles wunderbar“ tat er das ab und winkelte seine Beine unter der Decke an. „Du brauchst dich auch nicht um mich zu kümmern. Mein Freund fliegt heute von Moskau nach Miami und macht hier eine Zwischenlandung. Ich denke, ich werde dann erst mal zu ihm gehen bis sich meine beruflichen Perspektiven geklärt und mein Gesicht sich normalisiert haben.“

„Du hast einen Freund?“ horchte Noah auf. „Warum hast du mir das nicht erzählt?“

„Ich muss es ja nicht gleich an die große Glocke hängen.“

„Aber ich … ha ha ha.“ Er fasste sich an die Stirn und fand sich selbst etwas albern. War er doch davon ausgegangen, dass Tjergen gewisse Absichten hegte. „Tut mir leid, wenn ich das so lächerlich zugebe, aber ich hatte das Gefühl, du wolltest mich ins Bett kriegen.“

„Wollte ich auch“ gab er zu und störte sich nicht daran, dass Mokuba direkt daneben saß. „Ich würde auch immer noch nicht aufgeben.“

„Aber …“ warf Mokuba mehr verwirrt als eifersüchtig ein. „Wenn du doch einen Freund hast, warum machst du dich dann an Noah ran?“

„Josh schläft ja auch mit anderen.“ Und auch wenn er das so frei heraus sagte, sah man einen Ausdruck in seinen Augen, der nicht zu ihm passte. Er wirkte verletzlich, weich. Und gar nicht mehr so stark und dominant wie noch gestern. Er langte nach den Blumen und pflückte eines der dunkelroten Rosenblätter ab.

„Und wie ist er so?“ fragte Noah freundlich. „Ich meine, ob er weiß, dass du weißt, dass er mit anderen …?“

„Wir haben eine offene Beziehung. Anders als ihr anscheinend“ erwiderte er und warf einen abfälligen Blick zu Mokuba, bevor er sich wieder an Noah wandte. „Josh war Kanadier, bevor er sich in den USA hat einbürgern lassen. Er arbeitet für Industrial Illusions, auch ein Grund, weshalb ich es dir nicht erzählt habe. Beziehungen zur Konkurrenz machen meine Kunden nicht gerade scharf auf Verträge mit mir.“

„Na ja“ zuckte Noah mit den Schultern. War ja nun auch nicht mehr zu ändern. Und Tjergen sah nicht gerade aus wie ein Industriespion. Dazu war er viel zu auffällig. „In was für einer Position ist denn dein Freund?“

„Er leitet derzeit den gesamten russischen und eurasischen Markt. Wenn ich in Europa bin, sehen wir uns recht häufig.“

„Ich glaube, deinen Josh kenne ich“ eröffnete Noah tatsächlich überrascht. „Du meinst Joshua McGanner. So ein Mittfünfziger mit dunklem Haar und einer Vorliebe für wuchtige Accessoirs?“

„Ja, sein Schmuck ist immer ziemlich protzig. Er zeigt gern, was er hat“ lächelte Tjergen soweit es sein Verband zuließ.

„Dann reden wir von demselben. Da hast du dir aber eine gute Partie gesichert. McGanner ist als harter Hund verschrien und davon abgesehen mehr als gut betucht.“

„Ja, an Geld und Ansehen mangelt es ihm nicht. Wahrscheinlich wird er sogar in die USA zurückbeordert und übernimmt dann die Leitung der Konzernstrategie.“

„Pegasus ist seine Strategie heilig“ nickte Noah anerkennend. „Mit McGanner zieht er wohl jetzt die autochthone Karte. Gut zu wissen, dass sich da in Zukunft etwas ändern wird.“

„Was ist autochthon?“ fragte Mokuba mittenrein.

„Das bedeutet soviel wie bodenständig. Pegasus hat in den letzten Jahren eine sehr aggressive Strategie gefahren und uns einige Markteile abgekämpft. Er ist aber häufig ein zu hohes Risiko eingegangen und hat dabei so manche Niederlage einstecken müssen. Wenn McGanner jetzt dieses Ressort übernimmt, wird Industrial Illusions demnächst für uns härter. Ich denke, er wird sich mit uns dann auf keine spontanen Grabenkämpfe mehr einlassen, sondern uns ‚den Kleinkram‘ überlassen und die KC somit eher bei den Großkunden angreifen. McGanner gibt sich bekanntlich nur mit den großen Brocken ab.“

„Schwere Geschütze also“ schlussfolgerte Mokuba.

„Deswegen möchte er auch nicht, dass seine Homosexualität öffentlich wird“ bat Tjergen ernst. „Das würde seinem Ansehen schaden. Du weißt wie das in solchen Kreisen zugeht, Noah. Das hier ist ein privates Gespräch. Ich hoffe, du kannst das trennen.“

„Ich bin auch ganz privat hier, Terry“ lächelte er ihn freundlich an. „Ich weiß auch, was du meinst. Ich kann mir mein Outing leisten, weil die Kaiba Corp. gut im Markt etabliert ist und ich selbst als junger und moderner Manager dastehe. Bei alteingesessenen Genossen wie McGanner ist das anders. Die halten sich natürlich an ihre konservativen Kreise. Muss schwer für dich sein, wenn er dich verheimlicht.“

„Geht ja nicht anders“ zuckte er mit den Schultern. „Er hat noch große Pläne und da kommt ein jüngerer Freund wie ich eben nicht gut an.“

„Dennoch. Für mich stand es nie zur Diskussion, meinen Freund zu verheimlichen“ sagte er und legte seine Hand auf Mokubas Knie.

„Ja, aber Seto hat Yugi auch lange geheim gehalten“ widersprach Mokuba. „Ich kann schon verstehen, dass das nicht bei jedem so einfach ist. Und bei dir gucken auch einige Leute komisch. Wärst du kein Kaiba und würde die Kaiba Corp. nicht dir gehören, hätten wir es auch schwerer.“

„Seid ihr denn glücklich?“ fragte Noah und kam zurück zu Tjergen, welcher in seinen Fingerspitzen das Rosenblatt zerrupfte. „Eine offene Beziehung ist nicht gerade einfach zu führen. Besonders da er um einiges älter ist als du.“

„Er hat seine Liebhaber und ich meine. Das war nie anders“ antwortete er.

„Und das funktioniert?“ fragte Mokuba erstaunt. „Bist du nicht eifersüchtig?“

„Doch. Sehr.“ Er lächelte schwach und rollte das Blatt zwischen den Fingern zu einem kleinen Klumpen zusammen. „Aber was soll ich machen? Ich will ja auch nicht meine Karriere für ihn aufgeben. Aber jetzt … vielleicht ist das ein Zeichen, mein Leben noch mal zu überdenken.“

„Du meinst, du würdest jetzt deine Karriere für ihn aufgeben?“

„Mit ner schiefen Nase und ner vernarbten Lippe, habe ich schlechtere Karten gegen die Konkurrenz. Beauty-Kampagnen kann ich mir damit ganz abschminken. Außerdem glaubt in der Öffentlichkeit doch niemand, dass ich verprügelt wurde. Sie werden es als missglückte Schönheits-OP auslegen. Und nach dem Gossip kann ich meine Beziehung mit Josh ganz knicken. Dann bekennt er sich nie zu mir. Einen Skandal kann er nicht gebrauchen.“

„Du hast aber noch immer unseren Eros-Vertrag“ beharrte Noah darauf. „Joey Wheeler ist ein talentierter PR-Mensch. Der strikt dir jedes Image, dass du haben willst.“

„Vielleicht bin ich mein Image ja auch leid. Auf die Dauer ist Perfektion ziemlich anstrengend.“ Er schnippte das kaputte Blatt fort und pflückte sich ein neues ab. „Ihr habt da gestern etwas gesagt, was mir zu denken gab. Ich habe keine Drohne, die mich verteidigen würde. Vielleicht will ich auch gar keinen ganzen Bienenstock, sondern einfach nur einen einzigen Menschen, bei dem ich mich beschützt fühle. Ich habe niemals hartnäckig versucht, eine verpflichtende Bindung mit Josh aufzubauen. Vielleicht sollte alles so kommen, damit ich erkenne, wie wichtig er mir ist.“

„Du bist gar nicht so gehässig wie ich dachte“ stellte Mokuba fest und traf Tjergens weichen Blick. „Du hast ein zartes Herz.“

„Das sind die Schmerzmittel. Die schlagen aufs Gemüt“ winkte er ab und schnippte auch das nächste Blatt fort. „Ist ja auch egal, was ich euch erzähle. Wenn ich euch verklage, habe ich eh ausgesorgt, so what?“

„Das klingt schon mehr nach dir“ lachte Noah und legte ihm fürsorglich die Hand auf den Arm. „Lassen die Drogen nach? Brauchst du neue?“

„Ne Flasche von deinem Rotwein könnte ich gut vertragen“ meinte er und stupste das Glas auf dem Teewagen angewidert von sich. „Das Gesöff hier ist grausam. Ich weiß nicht mal was das ist, aber Fruchtsaft ist das bestimmt nicht.“

„Wir bringen dir ein paar Getränke vorbei“ versprach Noah lächelnd. „Wenn dir noch etwas einfällt, schick mir ne SMS. Hast ja meine Handynummer.“

„Versprich nicht zu viel. Mit dem kleinen Finger gebe ich mich nicht zufrieden. Ich bevorzuge andere Körperteile.“

Mokuba könnte eifersüchtig werden, aber irgendwie wurde er es nicht. Er hatte Mitleid mit Tjergen. Aus irgendeinem Grunde. Er wirkte nun gar nicht mehr so hart und gemein. Die gebrochene Nase schien mehr in ihm ausgelöst zu haben als nur das drohende Gewäsch der Presse. Er schien seine Niederlage anerkannt zu haben und scherzte mit Noah, anstatt ihn anzubaggern. Mokuba wusste nicht weshalb, aber er empfand ihn gar nicht als nervend.

„Kann ich dich mal etwas fragen?“ fragte Mokuba frei heraus. „Bist du nun eigentlich richtig schwul oder bist du bi?“

„Mein Manager verkauft mich als bi, damit die Frauen sich Hoffnungen machen. Aber ich bin schwul“ antwortete er ohne Umschweife. „Und du?“

„Ich weiß das gar nicht. Ich habe Noah, mehr brauche ich nicht.“

„Und wenn Noah eine Frau wäre?“

„Dann würde ich ihn trotzdem lieben. Und könnte endlich mal oben liegen.“

„Details wollen wir jetzt nicht weiter besprechen“ fuhr der dazwischen. Nicht, dass die beiden jetzt auch noch begannen, sich anzufreunden. Das wäre nicht nur zu viel des Guten, sondern einfach zu viel überhaupt.

Die Tür ging auf und ein Herr kam herein. Er hatte rasiertes Stoppelhaar, einen dunklen Schnauzbart und recht kleine Augen. Er trug einen schwarzen Anzug und ein hellgelbes Hemd darunter, eine rote Krawatte und eine auffällig teure Armbanduhr.

„Ah, Mr. Kaiba.“ Er ging zu Noah, der sich erhob und ihm die Hand schüttelte. „Wie schön, dass Sie Terry einen Besuch abstatten.“

„Das ist doch selbstverständlich. Mr. Dwight, Sie kennen meinen Lebensgefährten?“

„Nicht persönlich. Aber schön, Sie kennen zu lernen, Mr. Kaiba.“ Er schüttelte auch Mokuba die Hand und das Lächeln blieb hinter seinem Schnauzer versteckt. „Ich bin George Dwight, Terrys Manager.“

„Guten Tag“ nickte er und setzte sich wieder.

„Mr. Kaiba“ wandte er sich wieder an den Ersten. „Wenn Sie einen Augenblick Zeit haben, würde ich gern noch mal über den Vertrag mit Ihnen sprechen. Terrys Pläne werden sich eventuell ändern und wir sollten aufgrund der neuerlichen Ereignisse die Konditionen anpassen.“

„Natürlich. Ihr kommt hoffentlich einen Moment ohne mich aus“ bat er und folgte dem Schnauzer zur Tür. „Und schlagt euch nicht die Köpfe ein.“

„Ich weiß, wo der Notknopf ist“ scherzte Tjergen zurück und sank erst zurück als sich die Tür schloss.

Es entstand ein langer Moment des unangenehmen Schweigens. Tjergen pflückte ein neues Blütenblatt und Mokuba überlegte angestrengt, worüber er reden konnte.

„Willst du wirklich deinen Vertrag mit der KC lösen?“ fragte er dann besorgt.

„Das weiß ich noch nicht. Mal sehen was die nächsten Wochen mit meinem Freund ergeben.“

„Aber Noah hat schon fast die ganze Kampagne auf dich ausgelegt. Ich habe mit Joey gesprochen und ich weiß, dass schon alles geplant ist. Das wäre doch die Chance für dich, auch in die Filmbranche einzusteigen.“

„Vor allem wäre es für die Firma deines Liebhabers ein herber Verlust“ stach er gezielt zurück. „Wenn er mich nicht bekommt, muss er alles umplanen und Eros Metro geht nicht pünktlich an den Start. Imageschaden inklusive operativer Verluste. Soviel verstehe ich von BWL auch.“

„Nein, nicht deswegen. Noah ist nicht so. Er hofft wirklich, dass du wieder Fuß fasst und dass diese doofe Sache deine Karriere nicht ausbremst.“

„Und selbst wenn ich mich für ein Leben bei Josh entscheide, wären die KC-Pläne noch zu retten.“ Er sah Mokuba ernst an und sprach sehr deutlich. „Warum modelst du nicht für Eros?“

„ICH?!“

„Natürlich. Jede Kampagne, die auf mich passt, passt auch auf dich. Noah bräuchte nicht groß umplanen. Meinen Namen durch deinen zu ersetzen, das schafft jeder Praktikant. Und stell dir die Schlagzeilen vor. ‚Noah Kaiba ersetzt Top-Model durch Liebesgefährten. Eros Metro wird zur Intimsache. Lesen und sehen Sie mehr auf Seite 4 …‘“

„Nein, das Modelbusiness ist nichts für mich“ stritt er sofort ab. „Zu oberflächlich, zu passiv. Ich studiere lieber weiter Medizin und bewege mein Hirn statt meinen Arsch.“

„Willst du etwa sagen, ich hätte keinen Grips?“

„Nein, das will ich nicht sagen“ zickte er zurück, aber atmete ein Mal tief durch und beherrschte sich. Er durfte sich nicht mehr so leicht herausfordern lassen. „Tjergen … ich darf doch Tjergen sagen.“

„Wenn du das aussprechen kannst.“

„Ich habe mir dein Buch angesehen und es ist großartig. Du bist so wandlungsfähig und hast so einen starken Ausdruck. Du verbiegst deinen Körper, das habe ich noch nie gesehen. Selbst wenn ich es wollte, bräuchte ich Jahre bis ich dein Format erreiche. Ich gebe es nicht gerne zu, aber ich kann mich nicht so leicht anpassen wie du. Das soll nicht negativ behaftet sein, aber ich bin zu arrogant, um jemand anderen darzustellen als mich selbst. Deshalb könnte ich deinen Job gar nicht machen.“

„Das nehme ich mal als Kompliment.“ Schnipp, pflück, das nächste Blatt.

„So war’s auch gemeint. Bitte lass den Vertrag nicht platzen. Das wäre schade. Nicht nur für Noah, sondern auch für dich. Die KC ist das Beste, was dir passieren kann.“

„Jetzt will ich dich auch mal was fragen“ erwiderte er und blickte ihm kurz in die Augen, dann zurück auf das Blütenblatt. „Ich habe gerade so einen Gefühlstripp, deswegen bilde dir nichts drauf ein. Aber wie schaffst du es, dass Noah dich liebt?“

„Wie ich das schaffe?“

„Ja. So wie er dich ansieht, so hat mich noch niemand angesehen.“ Er legte seinen langen Zopf über die Schulter und strich mit dem Blütenblatt über seine gebräunte, jetzt blasse Haut. „Was tust du, damit er sich zu dir bekennt? Was tust du, damit er dir treu bleibt und sich nicht einen anderen nimmt?“

„Um ehrlich zu sein, tue ich gar nicht viel.“

„Wie arrogant.“

„Ich weiß. Aber so ist es einfach“ erklärte er. Langsam dämmerte ihm, dass das, was ihn und Noah verband, nicht selbstverständlich war. Eine feste Partnerschaft war für ihn so normal, dass er sich kaum noch vorstellen konnte, dass es Menschen gab, welche einsam waren. So einsam wie Tjergen. Er hatte wahrscheinlich in jeder Stadt einen anderen Liebhaber, aber der Mann, den er liebte, der bekannte sich nicht zu ihm. „Noah und ich lieben uns. Dafür gibt es keinen Grund. Ich gebe mir zwar Mühe, dass er mich äußerlich ansprechend findet und versuche im Bett kreativ zu sein, aber im Grunde ist das unnötig. Ich arbeite zwar für die Beziehung, aber ich nehme das nicht als Arbeit wahr. Ich freue mich einfach, wenn es ihm gut geht. Ich will, dass Noah glücklich ist, weil er für mich der Mensch ist, den ich am meisten liebe.“

„Und er? Dann macht er niemals irgendwelche Kompromisse für dich?“

„Doch, Noah macht viele Kompromisse. Ständig gibt er meinem Willen nach. Er hasst Tiere und ich habe echte Charakterkatzen. Er hasst Kinder und wir haben einen Jungen adoptiert.“

„Ihr habt adoptiert?“ Er schnippte das Blatt nicht fort, es fiel von selbst herunter. Das war noch nicht in die Öffentlichkeit gedrungen und entsprechend überrascht war er.

„Ja. Dante Kaiba. Er ist knapp vier Jahre alt und seit etwa einem halben Jahr bei uns. Wir sind ja nicht verheiratet, deswegen wird Noah ihn als Einzelperson adoptieren. Aber der behördliche Weg ist lang. Wir machen es publik, wenn die rechtlichen Fragen geklärt sind.“

„Und wie ist er so? Euer Sohn?“

„Er ist das süßeste Kind, das du dir vorstellen kannst. Und er ahmt Noah in jeder Hinsicht nach. Warte.“ Er zückte sein Handy und zeigte Tjergen ein Foto von seinem Süßen. Sein Lieblingsfoto. „Das ist Dante. Da hat er Noahs Krawatte um und sein Jackett an.“

„Er ist … auffallend.“

„Ja, ich weiß. Dunkle Haut und blondes Haar sind eine seltene Kombination.“

„Nein, ich meine er hat … auffallend grüne Augen. Oder wirkt das nur so?“

„Nein. Er hat ganz leuchtende Augen.“

„Er sieht aus als würde er gleich mit an den Schreibtisch springen wollen.“

„Das würde er wahrscheinlich sogar. Er liebt Noah abgöttisch. Wenn du ihn fragst, was er mal sein will, wenn er groß ist, wird er antworten, dass er Noah sein will. Dante ist einmalig. Und das daneben ist Valentine. Das ist sein Kater. Die beiden sind unzertrennlich.“

„Also auch ein Katzenliebhaber.“

„Das hat er nicht von Noah“ lachte Mokuba und steckte das Handy weg. „Und du? Hast du auch Familie?“

„Ja, habe ich. Aber wir sehen uns nicht oft.“

„Oh … das tut mir leid.“

„Braucht dir nicht leidtun. Ich bin kein Familienmensch. Das mit Familie und Freunden … das ist nicht so meine Sache.“ Und wieder war da der einsame Ausdruck in seinen Augen.

„Du bist auf nem richtigen Gefühlstripp, was?“

„Passiert manchmal. Geht auch wieder vorbei“ tröstete er sich selbst und griff in die Schublade des Teewagens. „Aber ich bin letztes Jahr Onkel geworden. Ich zeige dir mal meine kleine Nichte.“

„Du hast eine Nichte?“

„Ja, Erla Marnens. Sie ist jetzt bald ein Jahr alt, aber sieht schon aus wie meine Schwester. Sie … oh.“

„Was?“ Er versuchte aufs Handy zu schielen, aber es war zu weit weg.

„Mein Freund hat versucht, anzurufen. Ich dachte, er sitzt schon im Flieger. Moment kurz, ja?“

„Soll ich rausgehen?“

„Nein, bleib sitzen. Er will bestimmt nur sagen, wann er mich abholt.“ Er drückte ein paar Tasten und wartete. Er pflückte sich noch ein Rosenblatt und knetete es nervöser als zuvor. Er war offensichtlich sehr erwartungsvoll an die kommende Zeit mit ihm. Mokuba war erleichtert, dass er anscheinend außer Sex gar nichts von Noah gewollt hatte und somit kaum eine Gefahr darstellte. Außerdem freute er sich, dass jemand unterwegs war, der Tjergen auf seinem Gefühlstripp begleitete. „Dobre den, my darling!“ begrüßte er das andere Ende und lächelte breiter und echter als Mokuba gedacht hätte. Die ersten Worte erkannte er ja noch als russisch, doch die nächsten verstand er nicht. Vielleicht gestattete Tjergen auch deshalb, dass er blieb - er verstand ja eh kein Wort.

Mokuba tippte ein bisschen auf seinem Handy herum, um nicht ganz so neugierig und belauschend zu wirken. Am Rande fragte er sich, was das für ein merkwürdiger Sprachzauber war, der hier herrschte. Eigentlich sprachen doch alle die Sprache des Pharao. Das war so eingerichtet. Doch Tjergen konnte auf russisch telefonieren. Und englische Lieder wurden auch nicht übersetzt. Dennoch war das gesprochene Wort meist immer dieselbe Sprache. Das war viel trickreicher als Mokuba denken konnte.

Als Tjergens Stimme sich veränderte, blickte er vorsichtig zu ihm. Er hatte den Arm um sich geschlungen und antwortete nur noch einsilbig. Seine Augen waren feucht und es schien, er würde gleich in Tränen ausbrechen. Er senkte das Gesicht und nickte während er antwortete. Nur die letzten Worte verstand Mokuba dann wieder. „Ich dich auch. Bis dann.“ Er legte auf und senkte das Handy auf die Bettdecke. Seinen Kopf hob er nicht erneut.

„Tjergen?“ Mokuba rutschte zu Noahs Stuhl auf und legte seine Hände auf die Matratze. „Ist was passiert?“

„Er kommt nicht“ flüsterte er. „Er ist ohne mich nach Miami geflogen.“

„Aber er wollte doch einen Abstecher machen.“

„Die Zeit hat er nicht. Der Job ruft.“

„Wie gemein. Dann hätte er doch wenigstens bescheid sagen können.“

„Hat er doch.“ Er lächelte und wischte sich die beschämenden Tränen fort. „Ist auch egal. Ich bin erwachsen, ich komme auch so zurecht.“

„Aber du liegst im Krankenhaus und dein Freund … macht er sich denn keine Sorgen?“

„Eine gebrochene Nase ist nicht lebensbedrohlich.“ Er rang um seine Fassung und Mokuba hatte das Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen. Diese Absage verletzte ihn. Er überlegte, ob er vielleicht eine feste Bindung wollte. Er überlegte, ob er seine Karriere aufgab, um im Schatten eines anderen zu leben. Er wünschte sich, dass sein Freund sich um ihn kümmerte und ihm diesen speziellen Blick schenkte, den Noah seinem Mokuba schenkte. Doch alles, was er bekam, war ein Rückruf und nicht mal einen Strauß Blumen vom Versanddienst. Tjergen hatte eine Liebschaft, keine Liebe. Und wahrscheinlich niemanden, der ihn besuchen kam.

„Tjergen, tut mir leid, dass er abgesagt hat.“

„Muss es nicht. Es ist ja nicht so als wäre das neu für mich. Er hat nun mal viel Arbeit und keine Zeit für so was. Und mir geht’s ja auch nicht wirklich schlecht, ich … ich … ich will doch nur mal, dass er … er ist befördert worden … ich kann ja nachfliegen nach den USA und mit ihm anstoßen.“

„Aber mit einer Gehirnerschütterung ist das keine gute Idee.“

„Die ganze Sache ist keine gute Idee. Ich weiß nicht, was da in mich gefahren ist.“ Er lachte. Obwohl er weinte. Tjergen war einsam. Und er war verliebt. Unglücklich. Er hatte keinen Noah, der seine Katzen akzeptierte und ein Kind adoptierte. Er hatte Joshua McGanner. Den harten Hund. Er hatte ihn, solange es in den Terminplan passte. Und wenn ein Krankenhausaufenthalt ungelegen kam … dann kam kein Noah, der an seinem Bett saß. Mokuba verspürte auf einmal unendliche Dankbarkeit dafür, dass das Schicksal ihm einen Mann wie Noah zugedacht hatte.

„Tjergen.“ Er wollte ihm etwas sagen wie ‚Du bist nicht allein‘ oder ‚Wir können Freunde sein‘. Aber alles klang so abgedroschen, nachdem er doch der Grund für all das hier war. „Wir können darüber reden, wenn du möchtest.“

„Danke.“ Er legte das Handy zurück in die Schublade und ließ sich tiefer ins Kissen sinken als zuvor. „Ich glaube, es ist besser, wenn ihr jetzt geht. Ich fühle mich nicht gut.“

„Tjergen … ich weiß, es klingt abgedroschen, aber wenn du reden willst, dann rufst du an. Ja?“

„Nein, werde ich nicht“ antwortete er leise. „Sag Noah, ich mache seine Kampagne. Und der Chirurg kann auch kommen. Es bleibt alles beim Alten.“

„Tjergen …“

„Danke, dass ihr hier ward. Die Blumen sind sehr hübsch.“

„Ich stelle sie dir noch ins Wasser, okay? Wo sind die Vasen?“

„Das macht die Schwester. Geh nur.“

„Ich will dich jetzt aber nicht so sitzen lassen.“

„Hier geht’s mir gut. Danke, dass ihr hier ward.“

„Aber Tjergen …“

„Danke, dass ihr hier ward.“ Er blickte aus dem Fenster und war ab sofort nicht mehr ansprechbar. Er wollte jetzt niemanden sehen. Erstrecht nicht einen glücklichen öffentlichen Lebenspartner.

„Okay, ich hab’s verstanden.“ Er erhob sich von seinem Stuhl und nahm das Model mit gebrochenem Herzen nochmals in Augenschein. „Tjergen, ich weiß, dass es kitschig klingt und ich der Letzte bin, der das sagen sollte, aber wenn du jemanden brauchst, dann ruf mich wirklich an. Ja?“

„Bin ich in deinen Augen so mitleidserregend?“ Mit dunkel funkelnden Augen entgegnete er dem gütigen Blick. „Dein Mitleid kannst du dir sonstwo hinstecken. Ich bin keines eurer Sozialprojekte.“

„Ich würde das nicht Mitleid nennen. Eher Mitgefühl“ erwiderte er mit ernsterer Stimme. „Und davon abgesehen, kann ich mir vorstellen, dass wir uns gut verstehen würden. Also wenn du mich anrufen willst, freue ich mich. Wenn nicht, dann lass es eben bleiben. Gute Besserung.“
 

Mokuba zog die Tür hinter sich zu und lehnte sich mit einem Seufzen dagegen. Dieses Treffen war doch schon ein bisschen besser verlaufen als das letzte. Zumindest hatte er ihm dieses Mal nichts gebrochen. Und warum er Tjergen auf eine etwas eigenwillige Weise seine Freundschaft angeboten hatte, das konnte er sich auch nicht erklären. Vielleicht war es wirklich Mitleid. Aber auch vielleicht, weil sie viele Ähnlichkeiten miteinander hatten. Nicht nur äußerlich.

Er atmete aus und sah Noah am Ende des Ganges mit dem Schnauzbart sprechen. Sicher würden beide erleichtert sein, dass Tjergen sich nun doch nicht ins Privatleben zurückzog. Schade nur, dass es sein Privatleben war, welches keinen Rückzug zuließ und ihm das Herz brach.

Er ging zu den beiden hinüber, welche ihre Unterhaltung unterbrachen.

„Moki, alles in Ordnung?“

„Ja, alles prima.“ Er hängte sich gleich an Noahs Arm und verspürte eine tiefe, innere Dankbarkeit dafür, dass er einen Arm hatte, an welchen er sich hängen konnte.

„Du siehst traurig aus, Häschen. Habt ihr euch schon wieder gestritten?“

„Nein, nicht so richtig.“ Er lehnte sich an ihn und sah den Schnauzbart an. „Tjergen sagt, er macht die Kampagne für die KC. Es soll alles beim Alten bleiben.“

„Der Junge macht mich fertig.“ Der Manager fasste sich an die Stirn und lockerte dann seine Krawatte. Sein Schützling machte ihm das Leben nicht gerade leicht.

„Nun ja, Mr. Dwight“ lächelte Noah ihn zufrieden an. Für ihn war es gut, wenn der Vertrag so blieb wie vereinbart. „Wenn noch etwas sein sollte, rufen Sie mich gern an. Sie haben ja meine Nummer, oder?“

„Natürlich. Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten, Mr. Kaiba.“ Er schüttelte ihm die Hand und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Terry ändert häufig seine Meinung, aber bei der Arbeit ist er zuverlässig. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.“

„Ich wusste, dass er keine einfache Person ist. Ich kenne Männer wie ihn“ antwortete er in einem geschäftlichen Ton. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin sicher, niemand wird die Vertragsschließung bereuen. Hauptsache, er wird jetzt gesund und kann seine letzten Kunden bedienen, bevor er sich uns widmet.“

„Natürlich. Vielen Dank für ihre Geduld.“

„Und bitte benachrichtigen Sie mich, nachdem der Chirurg eingetroffen ist“ bat er noch halb im Gehen. „Wir werden selbstverständlich für sämtliche Behandlungs- und Folgekosten aufkommen.“

„Ich halte Sie auf dem Laufenden. Danke für Ihren Besuch, Mr. Kaiba. Mr. Kaiba.“ Er nickte den beiden nochmals zu, bevor er sich mit schnellen Schritten zurück ins Krankenzimmer beeilte.

„Was ist los?“ Nun legte Noah seinen Arm um Mokubas Hüfte und küsste ihn sanft auf die Stirn. „Rede schon. Ich sehe doch, dass irgendwas nicht stimmt.“

„Nein, es stimmt einfach alles“ erklärte er und schmiegte sich an Noahs Brust, legte beide Arme um ihn. „Ich habe ein wunderbares Leben. Abgesehen von einem großen Bruder, der immer für mich da ist und der mir eine liebevolle Familie gibt, habe ich einen Partner, der mich über alles liebt und einen gesunden Sohn. Weißt du eigentlich, dass das, was wir beide haben, etwas ganz Besonderes ist?“

„Natürlich weiß ich das.“ Er strich ihm durch das lange Haar und küsste seinen Scheitel. „Auch ich habe einen großartigen Partner, der zu mir steht und mich von Herzen liebt. Und der mir ein tolles Kind geschenkt hat. Natürlich weiß ich, wie besonders das ist. Ich sage es dir vielleicht nicht jeden Tag, aber ich liebe dich mehr als alles andere in meinem Leben und ich bin dem Schicksal dankbar dafür, dass es uns zusammengeführt hat.“

„Ich denke, du glaubst nicht an so was wie Schicksal?“

„Wenn ich dich sehe, fange ich langsam an, daran zu glauben“ lachte er und knuddelte ihn. „Ich habe mich quasi in mein Schicksal gefügt.“

„Ach! So ist das, ja?“ Er schubste ihn spaßig weg und ordnete sich seine Haarpracht, die Noah mal wieder durcheinander gebracht hatte. „Na warte, komm du mir nach hause.“

„Siehst du? Genau das meine ich.“ Er nahm Mokuba in den Arm und küsste seine Wange. „Und wie kommt Terry nun dazu, so schnell seine Meinung zu ändern? Will er nicht mehr mit McGanner nach Miami?“

„Er will wohl schon, nur sein Macker will nicht“ erklärte Mokuba betrübt. „Er ist ohne ihn geflogen. Ich habe das Gespräch nicht richtig mitverfolgt, aber es klang als wäre es ihm ziemlich egal, dass Tjergen im Krankenhaus liegt. Es sei ja keine lebensbedrohliche Verletzung oder so.“

„Das passt zu ihm“ seufzte Noah. „Armer Terry. Muss schwer sein, wenn man sich in so einen eisernen Mann verliebt.“

„Du würdest sofort kommen, wenn ich im Krankenhaus läge. Egal wie wichtig der Job ist. Oder?“

„Mokuba Kaiba!“ hob er tadelnd den Finger. „Ich bin beleidigt, dass du mich das überhaupt fragst. Oh! Hallo!“ Noah winkte zu Mokubas Rückseite.

„Wem winkst du?“ Der drehte sich um und sah, dass dort Tristan und Nika vor dem Fahrstuhl standen und etwas ratlos herübersahen. „Tristan und Nikolas. Was machen die denn hier?“

„Fragen wir einfach.“ Noah nahm Mokuba an der Hand und ging zu den beiden hinüber. „Tag. Seid ihr uns gefolgt?“

„Nein, wir wussten gar nicht, dass ihr hier seid“ antwortete Nika und sah sich noch immer nach allen Richtungen um. „Welche Station ist das denn hier? Ich sehe keinen Informationsschalter.“

„Soweit ich weiß, sind hier nur Patientenzimmer“ antwortete Noah. „Wo wollt ihr denn hin?“

„Zu einem Dr. Bachsen.“

„Bechsson“ korrigierte Nika Tristans Falschauskunft.

„Oder zu dem. Wir haben heute Morgen einen Beratungstermin.“

„Beratungstermin?“ schaute Mokuba neugierig. „Nikolas, willst du jetzt doch wieder eine Hormontherapie machen? Willst du nicht wenigstens warten bis wir die letzten von Mariks Schriften durchforstet haben?“

„Nein, für einen neuen Spießrutenlauf bin ich noch nicht bereit“ antwortete sie und nahm Tristans Hand. „Wir wollen uns über eine homologe Insemination informieren.“

„Warum benutzen heute alle Leute so schwierige Worte?“

„Das bedeutet, wir wollen uns über so eine Art künstliche Befruchtung informieren“ erklärte Tristan etwas genauer. „Wir haben das besprochen und sind zu dem Schluss gekommen, dass Nikolas früher oder später auf die ein oder andere Weise wieder eine Frau sein wird und damit unfruchtbar. Also wollen wir zumindest sein Sperma aufheben, um vielleicht doch noch gemeinsame Kinder zu bekommen.“

„Dann seid ihr hier aber falsch“ meinte Noah und drückte den Knopf am Fahrstuhl, bevor er die Tafel neben den Schiebetüren studierte. „Ich denke mal, ihr müsst in die Gynäkologie oder Urologie. Die sind beide auf der zweiten Etage. Das hier ist die neunte.“

„Aber die Schwester sagte doch, wir sollen uns oben an der Information melden und neben der Neun ist das große I für Information“ guckte Tristan Nika an. „Oder kriege ich da was durcheinander?“

„Nein, da hast du Recht“ bestätigte sie. „Aber die Dame hatte einen starken Akzent. Ich habe sie auch kaum verstanden.“

„Wir kriegen schon raus, wo ihr hinmüsst“ beschloss Noah und stieg als erster in den Fahrstuhl. Er drückte auch den Knopf für die zweite Etage. „Nikolas, woher kommt der Sinneswandel? Hattest du dich nicht dagegen entschieden, deine Spermien konservieren zu lassen?“

„Ja schon. Aber damals habe ich noch anders gedacht.“ Sie hielt Tristan fest an der Hand. Den Mann, der ihr Leben verändert hatte. „Ich habe immer gedacht, wenn ich mein Geschlecht ändere, ist es meine Schuldigkeit an die Natur, mich nicht auch noch vermehren zu wollen. Ich hatte auch immer ein bisschen Angst, dass meine Kinder vielleicht so verwirrt werden wie ich.“

„Ich habe dich da eh nie verstanden“ warf Tristan ein.

„Es hätte mir auch gereicht, wenn unsere Kinder nur Tristans Gene haben“ ergänzte sie. „Aber er ist anderer Meinung. Und nachdem es ja nun neue Perspektiven gibt“ sagte sie und warf Noah einen vielsagenden Blick zu. Tatos Weissagung hatte ihr doch zu denken gegeben und sie anscheinend hergeführt.

„Ich finde auch, du solltest dir trotz allem die Möglichkeiten offenhalten“ argumentierte Tristan. „Wer weiß, ob wir in zehn Jahren nicht doch Kinder von dir haben wollen? Du sprichst doch immer vom Schicksal und vielleicht ist diese Sache ein Wink des Schicksals.“

„Warum glauben jetzt plötzlich alle vernünftigen Leute ans Schicksal?“ schüttelte Mokuba den Kopf.

„Tato hat ihm aus der Hand gelesen“ nickte Tristan auf Nika. „Niemand will mir sagen, was dabei rauskam, aber seitdem besteht Nikolas darauf, dass wir uns über die Konservierung seiner kleinen Arbeiter informieren.“

„Ich denke auch, dass das eine gute Sache ist“ pflichtete Noah bei und wies auf die sich öffnenden Türen, worauf sie alle ausstiegen. „Sich zu informieren, kann nicht falsch sein. Und selbst wenn du später als Frau keine Kinder mehr von dir selbst haben möchtest, zwingt dich auch niemand, dein eigenes Sperma zu nutzen. Sich alle Türen offen zu halten, schadet nicht.“

„Sei glücklich, dass du einen Mann hast, der so zu dir steht“ war Mokubas Meinung dazu.

„Ich weiß. Ich bin glücklich“ versprach sie und blickte ihren Schatz verliebt an. „Und wenn Tristan sich später Kinder von mir wünscht, soll er sie auch haben.“

„Das sehen wir dann. Erst mal informieren wir uns. Schwieriger als Sperma einzufrieren, ist wahrscheinlich eher, eine Leihmutter zu finden.“

„Ich würde ja zuerst an Tea denken“ schlug Mokuba vor. „Die kriegt hundert Pro nur gesunde Kinder.“

„Nein, nicht jemand aus der Familie“ beschloss Tristan schon jetzt.

„Das sehe ich auch so“ schloss sich Nika an und kratzte ihr stoppeliges Gesicht. „Es würde nur Probleme geben, wenn wir jemanden fragen, der uns nahe steht.“

„Du sollst dich nicht ständig kratzen.“

„Ja ja“ murrte sie und nahm die Hände runter. „Ich hasse dieses Gefühl im Gesicht. Gerade rasiert und schon wieder Dreitagebart. Ich rasiere mir lieber die Beine als das Gesicht.“

„Da hinten ist die Information“ zeigte Noah den Gang entlang. „Sollen wir noch warten und euch dann wieder mit nach hause nehmen?“

„Nein, nicht nötig“ seufzte Nika mit schwerer Stimme. „Ich glaube, ich muss mir hinterher doch mal ein paar eigene Klamotten kaufen. Ich meine, welche in denen ich nicht aussehe wie eine Transe.“

„Du stellst dich also darauf ein, noch länger als Mann zu leben?“

„Die Phase, dass ich krampfhaft Damensachen tragen muss, habe ich hinter mir. Damals war das wichtig für mich, um mir über meine Sexualität bewusst zu werden. Aber im Augenblick will ich nicht angestarrt oder beschimpft werden.“

„Und was sagt dein Mann dazu?“ schaute Mokuba den an.

„Der steht zu mir. Egal, was ich tue“ antwortete Nika für ihn. „Wahrscheinlich steht er im Augenblick mehr zu mir als ich zu mir selbst.“

„Mach dir nicht so viele Gedanken. Sei froh, dass du …“

Tristan konnte seinen Satz nicht bis zum Ende bringen als ihre Gruppe von einer Krankenschwester gesprengt wurde. „Was machst du denn noch hier?“ Sie war eine schlanke, blonde, sehr hübsche Frau mit großen Augen und … grooooßen Augen, die fast aus ihrem Dekolleté hüpften. Und sie postierte sich direkt vor Mokuba, ignorierte, dass noch andere Leute um ihn herumstanden.

„Ich?“ drehte der sich um und erwiderte ihren Blick mit Verwirrung. „Sprechen Sie mit mir?“

„Natürlich mit dir. Du bist lustig.“ Einen belustigten Eindruck machte sie nicht. Stattdessen zückte sie das Schreibbrett unter ihrem Arm, blätterte ein paar Zettel um und beäugte Mokuba sehr eingängig. „Bist aus dem OP gelaufen? Der Anästhesist ist doch schon bei dir gewesen.“

„Bei MIR?“ Mokuba zeigte auf sich. Er sah die anderen an, doch die konnten ihm auch nicht wirklich helfen.

„Vielleicht verwechseln Sie uns“ riet Noah. „Wir sind eigentlich nur zufällig hier. Oder habt ihr einen Termin auf den Namen Kaiba gemacht?“

„Nein, auf Taylor“ antwortete Tristan.

„Häh?“ guckte jetzt die Krankenschwester mit den großen Augen verwundert. „Weder noch.“

„Wie weder noch?“ wollte Mokuba jetzt wissen. „Was genau wollen Sie denn von mir?“

„Du kommst mir heute irgendwie komisch vor. Siehst auch ganz schön fertig aus. Sorry für die Feststellung.“ Sie blätterte ihre Unterlagen nochmals durch, prüfte sie ganz genau. „Aber du hast deinen Termin nicht abgesagt. Hier steht es. Heute um halb elf. Oder hast du es dir doch im letzten Moment anders überlegt?“

„Was zum Geier lesen Sie denn da?“ Mokuba schnappte ihr das Schreibbrett weg und las selbst.

„Nicht! Das sind vertrauliche Daten!“

„Mokeph Gardener?“ Er blickte auf und sah sie ernst an. „Sie verwechseln mich wirklich. Ich bin nicht Mokeph. Ich bin Mokuba.“

„Bitte?“ Jetzt kam auch sie nicht mehr mit.

„Mokeph ist so eine Art Zwilling von mir“ erklärte er und gab ihr die Unterlagen zurück. „Warum hat er denn einen Termin heute? Und dann auch noch mit Anästhesist.“

„Du bist nicht Mokeph? Du siehst aber haargenau aus wie er.“

„Na ja, die Haare sind schon anders.“

„Gute Frau“ mischte sich nun Noah ernsthaft ein. „Wir kennen Mokeph sehr gut. Und zu hören, dass er heute eine Operation hat, besorgt uns nun ein wenig. Wofür genau ist er denn hier?“

„Tut mir leid, das darf ich Ihnen dann wohl nicht sagen. Martha!“ Sie winkte einer anderen Schwester. Der Kleidung und des Alters nach zu urteilen, wohl ihre Vorgesetzte. Die rundliche Frau mit der mintgrünen Arbeistkleidung und dem verrutschten Make-Up kam herüber und nickte den vieren mit einem freundlichen „Guten Tag“ zu. „Anna, was ist denn los? Du solltest doch nur die Medikamente für Mr. Gravsson holen.“

„Martha, er hier sieht doch original aus wie Mokeph.“

Sie wandte ihre kritischen Augen auf Mokuba und nahm dann ihre eigenen Unterlagen zur Hand. „Das kann nicht sein. Mr. Gardener wird gleich in den OP geschoben. Ich war eben noch bei ihm.“

„Vielleicht können Sie ja etwas Licht ins Dunkel bringen“ bat Noah in seinem diplomatisch geschäftsmännischen Ton. „Wir sind Angehörige von Mr. Gardener und haben gerade erfahren, dass er wohl hier liegt. Ist ihm etwas zugestoßen?“

„Nein. Noch nicht“ antwortete sie gleichgültig und überflog nochmals die Patienteninformation. „Ist einer von Ihnen Noah Kaiba?“

„Ja, ich“ meldete Noah ruhig zurück.

„Mr. Gardener hat Sie als Vertrauensperson eingetragen. Für den Fall, dass bei seiner Operation Komplikationen auftreten, dürften wir uns an Sie wenden. Er hat Sie nicht in Kenntnis gesetzt?“

„Ich wünschte, er hätte es.“ Jetzt wurde ihm doch etwas band. „Weshalb ist er denn nun hier? Was für eine Operation?“

„Lassen Sie uns etwas beiseite gehen“ bat die Oberschwester und zog ihn hinter einen Broschürenständer, damit die Gruppe nicht den Fahrstuhl blockierte. Sie blickte nochmals, nur zu aller Sicherheit in die Akte und war sich ganz sicher. „Ich darf Ihnen eigentlich keine Auskunft geben. Haben Sie vielleicht Ihren Ausweis dabei? Führerschein, Reisepass, irgendetwas?“

„Natürlich.“ Er kramte seinen Führerschein heraus und sie kontrollierte schnell den Namen.

Mit einem „In Ordnung“ gab sie ihn zurück und machte einen Haken auf ihren Unterlagen. „Mr. Gardener lässt heute Morgen eine Vasektomie vornehmen. Das ist ein Routineeingriff, der ambulant erfolgt. Wenn also alles normal verläuft, können Sie ihren Freund in ein paar Stunden wieder mit nach hause nehmen. Kein Grund, sich Sorgen zu machen.“

„Wiederholen Sie doch bitte noch mal, was genau das für eine OP ist“ bat er geschockt. Es konnte ja sein, dass er sich verhört hatte …



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